Auszug aus dem aktuellen Hauptartikel › Karl May als Menschenbildner: | | Silberschmuck satt für Pferd, Sattel und Reiter | | | | In der letzten Woche habe ich ausgiebig aus dem Roman » Am Rio de la Plata von » Karl May zitiert, den ich in meiner Jugend gelesen hatte, und zwar die Stelle, die mir vor allen anderen im Gedächtnis geblieben war. Die armen Teesammler erscheinen mit armseligen Pferden, die stumpf, verwahrlost und verletzt sind und von ihren Besitzern übel behandelt werden. Diese haben aber für die Mißhandlung dieser armen Kreaturen nicht das geringste Verständnis, obwohl sie durchaus feine Menschen zu sein scheinen.
Demgegenüber hat Karl May bzw. der Held des Romans eine ganz andere Auffassung von Pferden und entsprechend einen ganz anderen Anspruch. Das ihm angebotene Pferd lehnt er deshalb scharf ab und verschafft sich umgehend ein angemesseneres, mit dem er auch ganz anders umzugehen gedenkt.
Das war es, was mich als Jugendlichen beeindruckt und geprägt hat. May hat Mitgefühl mit den Pferden, die so schlecht behandelt werden. Das ist für ihn nicht in Ordnung. Er kreidet es den Landsleuten an, daß sie gar nicht wissen, was Pferde sind und wie man mit ihnen umgehen muß. Mehr noch, dieser Anspruch bezieht sich eigentlich auf die gesamte Schöpfung.
Diese "humanitäre" Haltung hat mit Sicherheit genausoviel Auswirkungen auf unser Befinden und Denken wie seine Darstellung der Indianerproblematik; bekanntlich verdanken wir unser Indianerbild weitgehend Karl May. Deshalb hatte ich erwartet, daß inzwischen sein Werk in Bezug auf diese Frage abgeklopft worden ist, aber das scheint nicht der Fall zu sein.
May präsentiert sich in dieser Szene nicht nur als Pferdekenner und überragender Experte, der mit Leichtigkeit alle anderen beschämt, sondern auch als scharfer Beobachter und Tierfreund, der den Umgang einer ganzen Kultur mit dem Pferd wie selbstverständlich kritisiert und verwirft, freilich nicht als Besserwisser und Neunmalkluger, sondern aus der Haltung einer fremden Kultur heraus, die sich ganz selbstverständlich als fortgeschrittener und überlegen begreift.
Dabei spielt das Pferd, das er sich ausgesucht hat, gar nicht mal eine besondere Rolle. Es hat beispielsweise nicht einmal einen Namen und wird später auch nicht weiter gewürdigt. Es ist einfach nur ein brauchbares Reittier, noch nicht so mißhandelt und abgenutzt wie die anderen Tiere. Zwar begeistert es durch Temperament und Feuer, aber trotzdem wird es vom Erzähler nur im Hinblick auf Zweckmäßigkeit beurteilt. Der Held braucht ein Pferd, auf das er sich verlassen kann; das Pferd muß sich deshalb an ihn gewöhnen können. Wenn er ständig die Pferde wechseln müßte, würde dieses Spielchen immer wieder von neuem beginnen. Deshalb muß das Pferd gesund sein, damit es die Anforderungen einer längeren Reise auch erfüllen kann.
Ein vitales Pferd unterstützt seine Überlegenheit natürlich noch, oder andersherum: Wenn einer seiner Gegner ein überlegenes Pferd hätte, würde es ihm zum Nachteil gereichen. Deshalb ist es für ihn nicht nur wichtig, zweckmäßig gekleidet zu sein und überragende Waffen mit sich zu führen, sondern auch ein besseres Pferd zu reiten. Das alles ist so selbstverständlich, daß er es dem Leser nicht umständlich erklären muß. Das Pferd ist für ihn genauso wichtig wie alle anderen Ausrüstungsgegenstände, aber mehr ist es auch nicht. › [...] mehr
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