| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | Meine Meinung zu dem Buch: von › Werner Popken
"Mit Pferden sein ..." - der Titel dieses Buches ist sicherlich sorgfältig ausgewählt worden. Er soll bestimmt an den 1993 erschienenen Erstling "Mit Pferden tanzen" des umstrittenen "Pferdeschamanen" Klaus Ferdinand Hempfling erinnern, dessen Sekretariatsleiterin die Autorin von 1994 bis 1998 war, denn sonst hätte man einen ganz anderen, unverfänglichen Titel wählen können.
Natürlich war Hempfling auch und vor allem ihr Lehrmeister; sie würdigt ihn in der Danksagung am Schluß des Buches, wie schon am Ende des Hauptartikels der letzten Woche zitiert (› Verstand). Selbstverständlich war er nicht ihr einziger Lehrmeister, aber der bedeutendste. Das verwundert nicht. Hempfling ist zweifellos eine Ausnahmepersönlichkeit, wie sie nur selten in Erscheinung tritt.
Abgesehen von dieser Würdigung als Klaus taucht Hempfling in diesem Buch nicht auf. Warum sollte er? Die Autorin konnte schon viel, als sie Hempfling kennenlernte, und hat sich seither enorm weiterentwickelt, nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit ihrem Mann, der ebenfalls mit Hempfling gearbeitet und den sie dort kennengelernt hat.
Heinz Welz hat Hempfling einen "Geheimniskrämer" genannt. Diese Aussage ist von einer Leserin bestritten worden - sie habe viel von Hempfling lernen können. Wie dem auch sei - Sabine Birmann jedenfalls vermittelt alle Sachverhalte so klar, wie es nur geht, und zwar mit Worten, Fotos und Zeichnungen. Das allein ist aber nichts Besonderes - viele Autoren bemühen sich, ihr Wissen so gut wie möglich zu vermitteln.
Das Besondere an diesem Buch ist, daß es die besondere Tür weit aufmacht, die Hempfling einen Spalt geöffnet hat, die Tür, an der alle anderen vorübergehen. Deshalb ist dieses Buch anders als alle anderen, in demselben Maße, wie Hempflings Erstling anders war als alle anderen Pferdebücher vorher und nachher. Es setzt da an, wo Hempflings Möglichkeiten endeten. Es nimmt aller Kritik an Hempfling den Wind aus den Segeln. Es zeigt ganz konkret, was man tun muß, um Pferde zu den schönen, kraftvollen, ausdrucksstarken Wesen zu machen, die sie sein können.
Und da Pferde ein vorzüglicher Spiegel sind, heißt das, daß auch die Menschen sich entsprechend wandeln. Die Autorin verwendet einen besonderen Begriff, um die Dimension aufzuzeigen, um die es ihr geht, und dieser Begriff klingt schon im Titel an. Ganz unvermittelt schreibt sie auf Seite 63:
| Nun haben Sie sehr schön mit Ihrem Pferd gearbeitet, es ist bei Ihnen, Sie haben schöne Momente erlebt, ja vielleicht sind Sie schon einmal ins Sein gekommen mit Ihrem Pferd - aber irgendwie geht es nicht mehr weiter. a. a. O. | | |
Nanu? Ins "Sein" gekommen? Keine Angst, es geht nicht um Philosophie und schon gar nicht um Esoterik. Die Autorin läßt den Begriff hier nur einmal fallen und wird gleich wieder konkret, denn sie schreibt über Erfahrung. Wie macht man deutlich, worum es wirklich geht mit den Pferden? Indem man mit Pferden arbeitet, Erfahrungen macht und verarbeitet, diese Erfahrungen durch Arbeit anderen Menschen vermittelt und schließlich über diese Arbeit mit Pferden schreibt und die besondere Qualität dieser Arbeit über Einzelfotos, Fotosequenzen und Zeichnungen herausarbeitet, wodurch der Leser vielleicht ebenfalls die Erfahrungen machen kann, auf die es ankommt.
Erfahrungen macht man nur, indem man sie selbst erwirbt, nicht indem man darüber liest. Lesen kann man viel, man kann sein ganzes Leben mit Lesen verbringen und nichts erfahren. Erfahrungen alleine sind aber auch nicht seligmachend, denn wenn dem so wäre, bräuchte man keine Lehrer. Zwangsläufig machen wir alle pausenlos Erfahrungen, gute und schlechte, und wenn das alles wäre und wir alleine daraus alles lernen könnten, was wir hier zu lernen haben, würden wir alle am Ende des Lebens selig und weise sein. Bekanntlich bleiben wir aber überall an beliebiger Stelle stehen und entwickeln uns nicht weiter, trotz aller Erfahrungen.
Und hier brauchen wir Lehrer. Wir brauchen Menschen, die schon an Orten waren, von denen wir gar nicht wissen, daß es sie gibt, damit sie uns davon erzählen und nicht nur die Sehnsucht nach diesen Orten wecken, sondern auch dem Weg dahin beschreiben. Auf den Weg begeben müssen uns selbst, wir müssen ihn selbst beschreiten und zurücklegen, damit wir dort ankommen und diese Orte aus eigener Erfahrung kennenlernen und uns zu eigen machen können. Bis dahin bleibt alles angelesen, ist nicht eigene Erfahrung, sondern allenfalls bekannt vom Hörensagen.
Sabine Birmann hat etwas erfahren, das die meisten von uns nicht kennen. Erst zum Schluß kommt sie darauf zu sprechen:
| Nun haben Sie sich mehr oder weniger intensiv mit Ihrem Pferd beschäftigt, Ihre Körpersprache vervollkommnet, Ihre Wahrnehmung geschärft. Sie haben versucht, sich reinzufühlen in dieses Wesen, die verschiedenen Techniken geübt ... und jetzt verrate ich Ihnen mal etwas: Vergessen Sie dies alles für einen kurzen Moment.
In einem meiner letzten Kurse fragte ich die schon fortgeschrittenen Kursteilnehmer, was sie denn unter "Sein" verstehen würden. Keiner wußte wirklich darüber etwas zu sagen, ja ich hatte das Gefühl, keiner hatte diesen Zustand je erlebt.
Pferde sind immer im Sein. Das Sein zu beschreiben ist eigentlich unmöglich, es ist aber erfahrbar, wenn man sich wieder in eine Welt begibt, die im Laufe des Erwachsenwerdens immer mehr verlorengeht. Ein Pferd, ein Tier und auch ein kleines Kind befinden sich noch im totalen Einklang mit der Natur. Wenn es geht, der geht es wirklich, wenn es ißt, dann ißt es wirklich und wenn es ruht, dann ruht es wirklich. Es empfindet direkt und unmittelbar seine Umwelt und reagiert ebenso unmittelbar auf die entsprechenden Reize.
Wenn wir gehen, dann sind den Gedanken schon dort, wo wir eigentlichen wollen, wenn wir wirklich glücklich sein könnten, so vertun wir diesen Moment mit den Gedanken an die Vergänglichkeit, wenn wir ruhen könnten, so denken wir schon an den Moment, wenn die Arbeit wieder ruft und wenn wir arbeiten, dann denken wir schon an das Wochenende. So sind wir immer außerhalb des Seins, denn das kann ich nur erfahren, wenn ich im Hier und Jetzt bin, wenn ich alles um mich herum wahrnehme ohne mich zu konzentrieren, und ... wenn ich eins werde mit dem Pferd.
Wenn der Rhythmus des Pferdes mein eigener wird, wenn ich das Gras und den Boden unter seinen Hufen spüre, als wenn es unter meinen Füßen wäre, wenn seine Bewegung auf einmal meine eigene wird, dann habe ich es erfahren, das Sein. Es ist oft nur ein winziger Moment, in dem es keine Zeit mehr gibt, in dem ich einfach bin.
Mein Körper und Geist werden wieder eins mit der Natur, aus der wir als Menschen dank unseres Intellekts so jäh abgetrennt worden sind.
Und deshalb trägt das Pferd all unsere Last im wahrsten Sinne des Wortes. Das Pferd erträgt uns auch mit all unserem Ballast, den wir mit uns herumschleppen. Doch das Pferd gibt uns als Wesen auch die Chance, und sei es nur einen winzigen Moment, zu erfahren, was es wirklich bedeutet, zu leben ... was es wirklich bedeutet zu Sein ... a. a. O., Seite 171 | | |
Dieses Buch soll den Weg beschreiben, um zu diesem Ziel zu gelangen. Und darin ist es sehr konkret. Es beschreibt erstaunlich oft Mißerfolge und besondere Schwierigkeiten, mit denen der Mensch zu rechnen hat. Denn dieser lernt am Pferd und mit dem Pferd, und alle Pferde sind verschieden, haben unterschiedliche Körper, Temperamente, Schicksale. Und sind deshalb in vielen Fällen auch schwer geschädigt - traumatisiert nennt die Autorin das.
Sabine Birmann weiß, wovon sie redet. Sie stellt viele Pferde und viele Pferdeschicksale in ihrem Buch vor, und sie macht unmißverständlich deutlich, daß manche Pferde wirklich gefährlich sind. Sie ist selbst mehrfach schwer angegriffen worden. Durch die Illustrationen läßt sich gut nachvollziehen, worin die Traumatisierungen bestehen, wie man sie erkennt, wie sie sich auswirken.
Die meisten Pferde tun ihr aber nur leid. Sie übt scharfe Kritik an Umgang, Haltung und Fütterung, und zwar nicht nur in Bezug auf die herkömmliche Art und Weise, sondern auch mit Blick auf Freizeitreiter, Offenstallhaltung und falsch verstandene Tierliebe. Wenn man dem Pferd nicht wirklich gerecht werden kann, sollte man nach ihrer Meinung das Leiden des Pferdes nicht unnötig verlängern. Besonders ärgert sie die Inkompetenz sogenannter Tierfreunde, die sich in erster Linie um ihr eigenes Ego kümmern und dafür die Pferde benutzen.
Es liest sich etwas ungewohnt, wenn immer wieder dafür plädiert wird, doch die Finger von der Sache zu lassen. Muß wirklich jeder ein Pferd haben? Die Meinung der Autorin ist klar: Wer ein Pferd hat, ist für dieses Pferd verantwortlich und sollte immer und ausschließlich im Sinne des Pferdes handeln, auch wenn es um das Reiten geht. Pferde lieben laut Autorin bis auf wenige Ausnahmen das Reiten, aber nur, wenn man es für diese ausübt.
Um diesen Dienst am Pferd leisten zu können, muß man das Pferd "erkennen" können. In dieser Hinsicht, das gestand die Autorin im Gespräch ohne Zögern ein, ist Hempfling immer noch Lehrmeister, aber sie wird besser und in ein paar Jahren vermutlich ebensogut sein. Nun arbeitet sie schon viele Jahre mit Pferden - daran können Sie ermessen, was der durchschnittliche Pferdebesitzer zu lernen hat. Aber der muß ja auch nur sein eigenes Pferd erkennen können. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es vermutlich kein besseres Buch als "Mit Pferden sein ..."
So gesehen ist Pferdehaltung im Grunde Menschenschulung. Der Mensch wird gefordert und kann dadurch wachsen. Auch dafür bietet das Buch viele wunderbare Beispiele:
| Martina kaufte sich einen Andalusierhengst, zugegebenermaßen ein Mitleidskauf, denn er hatte einen fühlbaren Sehnenschaden, scheuerte sich die Mähne und webte bisweilen. Der Hengst ging mit vier Jahren Doma Vaquera auf der Vorhand und war, wie wir später entdeckten, völlig traumatisiert.
Sie kaufte dann noch einen Jährlingshengst hinzu und ließ ihn mit dem älteren Hengst zusammen aufwachsen. Solange sie ihre Pferde am Haus hatte, ging alles noch recht gut, aber im Laufe der Jahre gab es immer mehr Schwierigkeiten, bis der spanische Hengst sie eines Tages angriff.
Was war geschehen? Martina verhielt sich ihm gegenüber nicht ganz klar und je länger sie Zeit miteinander verbrachten, desto mehr mußte der Hengst sie testen. Eine Klärung der Rangordnung ist, wenn diese nicht wirklich stattfindet, nicht nur wirkungslos, sondern regelrecht gefährlich.
Sie wollte Descarado in der Hallen longieren und ging dafür in die treibende Position des ranghöheren Pferdes. Ihr Körper und ihre Energie strahlten aber nicht das aus, was den Hengst bewegt hätte, ihr wirklich zu glauben. Das Pferd empfindet dann das Vorwärtstreiben als Schikane. Sie stellt der Descarado dann irgendwann in die Ecke und daraus griff er sie an. Es passierte ihr wunderbarerweise nichts, da sie sich schnell hinter die Litze verzog, aber es war für Martina einer von mehreren heilsamen Schocks.
Der Weg, der dann folgte, war lang und mühsam. Martina mußte lernen, immer klar zu sein, nicht mit Descarado zu schmusen, wenn es nicht anstand und trotzdem ohne Wut und Zorn mit ihrem Hengst umzugehen. Descarado spiegelte auch jede persönliche Unsicherheit, so daß sie mit der Zeit wirklich in ihm einen Spiegel ihres Befindens sah, oft, bevor sie es noch selbst realisiert.
Lange konnte sie den Hengst auch nicht gymnastizieren, da er sich aus Auflehnung immer verspannte und quasi im Innern gegen sie kämpfte. Erst, als sie das lösen konnte, indem sie immer klarer, energievoller und souveräner wurde, geschah ein kleines Wunder und der mittlerweile zum Senkrücken neigende Descarado baute wieder Muskeln auf.
Martina muß bis heute eine harte Schule mit Descarado durchlaufen, denn Fehler lassen ihn immer noch zurückfallen. Sie hatte aber das Glück, mit Menschen befreundet zu sein, die ihr helfen konnten und dabei sie immer wieder bestärken, an sich zu arbeiten statt den einfacheren Weg des Verkaufs oder der Kastration zu wählen.
Mittlerweile ritt sie mit ein wenig Hilfe auch ihren Hengst Tizio selbst ein. Da mußte sie letztendlich noch ihre Angst vor dem gern steigenden Kraftpaket überwinden.
Nicht jeder hat die Zähigkeit und den Biß für so einen anstrengenden Weg, aber die Früchte sind auch entsprechend. a. a. O., Seite 168 | | |
Diese beiden können Sie im Großformat als › Poster bewundern. Die Bildunterschrift lautet: "Martina wagt sich zum ersten Mal, ihren hier 10-jährigen Andalusierhengst Descarado am Halsring einen sicheren Rundweg zu reiten. Gerade, wenn ein Hengst sich dem Menschen hingibt, treten seine ganze Ausstrahlung und sein ganzer Stolz zu Tage."
Wer mit Sabine Birmann arbeiten möchte, braucht ebenfalls Zähigkeit und Biß, denn sie ist kompromißlos, wenn es um die Pferde geht. Viele Menschen können das nicht vertragen und kommen dann nicht wieder. Auch davon berichtet sie in schonungsloser Offenheit.
Bisher gibt es nur sehr wenige Erwähnungen der Autorin im Internet. Eine ist inzwischen wieder verschwunden und nur noch über den Cache von Google zu erschließen (› Das Buch). Ich erwähne diese Fundstelle deshalb, weil der Autor etwa um die Zeit mit Hempfling in Berührung gekommen sein muß, die Sigrid Kreile in ihrem Buch › Im Banne des Pferdeschamanen beschreibt. Diese Beschreibung deckt sich vollkommen mit der, die wir von daher kennen.
Auch dieser Autor beteuert, daß er trotz negativer Erfahrungen viel bei Hempfling gelernt habe. Anschließend arbeitete er mit Sabine Birmann. "Sie machte da weiter, wo Klaus aufgehört hatte, und das war meist nicht weniger hart!" Aber dann wanderte er weiter und vertraute sich seither jemand anders an. "Irgendwann war dann auch der Abschnitt mit Sabine Birmann zu Ende, wir verstanden uns einfach nicht mehr... Antje wurde mit ihrer liebevoll-zurückhaltenden und zulassenden Art der wichtigste Bezugspunkt für mich in Sachen Pferdearbeit!" Daraus schließe ich, daß Sabine Birmann ihn härter angefaßt hat, als er vertragen konnte.
An vielen Stellen schimmert die wissenschaftliche Konditionierung durch, die die Autorin durch das Biologiestudium erfahren hat. Wer Feldforschung betreiben und Tiere in ihrem Verhalten beobachten mußte, wird diese Schulung nie wieder vergessen. Eine Projektion eigener Vorstellungen und Gefühle findet einfach weniger leicht statt. Zweifellos war auch die Schulung durch Hempfling prägend. Gerade auf sie muß man das Bild anwenden, daß Hempfling wie ein alter Zenmeister den Schüler lediglich anstoßen will und ihm den Rest überläßt. Naturgemäß haben solche Lehrer nur wenige Schüler, die es ebenso weit oder gar weiter bringen. Zu diesen muß man die Autorin zählen.
Das Buch trägt den Untertitel "Der gemeinsame Weg zu einer außergewöhnlichen Verbindung", und dieser Weg ist strukturiert:
- Einleitung
- Ein neuer Weg beginnt ...
- Vorwort
- Wahrnehmen, Fühlen und Handeln
- Wie lange ich an ...
- Haben Pferde Emotionen?
- Führung und Führen
- Pferdepersönlichkeiten - Leitpferd oder Rambo?
- Wie leite ich als Mensch ...
- Der individuelle Raum
- Das "Longieren"
- Das Führen
- Konsequenz und Klarheit
- Rahmen oder Grenze
- Das Drücken - oder: Mein Pferd geht nicht vorwärts
- Wie lade ich mein Pferd zu mir ein?
- Das Kruppeweichen
- Was gleich scheint, muß nicht gleich sein - Pferd in Außenstellung
- Das Rausschicken auf den Zirkel
- Das Zusammenleben von Mensch und Pferd
- Was ist Natur? Einige Gedanken zur Pferdehaltung
- Überwindung der Angst
- Vom Außen und vom Innen
- Das Helfersyndrom
- Das Besetzen - Vorstellung und Wirklichkeit
- Traumatisierte Pferde
- Pferde fördern - die Bodenarbeit
- Biegen und Stellen
- Das Untertreten
- Das "meditative" Longieren
- Aufhören - aber wann?
- Pferde fördern - das Reiten
- Reiten macht Spaß
- Reiten lernen
- Freies Reiten
- Junge Pferde reiten
- Der Weg zur natürlichen Versammlung
- Schwierige Pferde?
- Pferde fördern - das Spiel
- Häschen- und Jägerspiel
- Spielerische Zirkelarbeit, Spanischer Schritt und Seitengänge
- Das Steigen
- Die Gasse
- Kinder und Pferde
- Hengste - Symbole der Kraft
- Energie und Vitalität
- Mut zum Wachsen
- Mit Pferden sein ...
- Danksagung
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Hempfling wurde oft vorgeworfen, er arbeite ausschließlich vom Boden aus, während seine Schüler doch reiten wollten. Sabine Birmann und ihr Ehemann arbeiten im Regelfall fremde Pferde ebenfalls ausschließlich vom Boden aus, aber sie arbeiten auf das Reiten hin. Nicht, um den Menschen zu gefallen, sondern weil es den Pferden Spaß macht und diese das Reiten zu ihrer Förderung brauchen.
Dieses Buch ist daher auch eine Reitlehre, aber keine, die in irgendeiner Tradition steht. Es geht nicht darum, das Pferd zu irgend etwas zu bewegen, damit der Mensch seinen Willen bekommt. Es geht einzig und allein darum, etwas für die Pferde zu tun, und zwar ausschließlich in ihrem Sinne. Die Autorin beginnt damit, dem Leser den Blick für den Zustand des Pferdes zu schärfen. Ist dieses Pferd traurig, abgestumpft, verschlossen, oder ist es lebendig, interessiert, glücklich?
| | › Poster Glücklicher Gasparo Reiten mit Holger ist das Größte | | | | Die vielen Bilder von Reitern und Pferden dienen daher auch als Prüfstand für die Thesen der Autorin. Auf meine Frage, ob Hempfling reiten könne, antwortete sie mit dem Bild, daß Hempfling ohne Sattel und Zaumzeug eine Herde steuern kann. Wenn man erst einmal begriffen hat, was das bedeutet, erscheint diese Leistung schier unglaublich, genauso wie die Szenen, in denen Hempfling einen gefährlichen und unberechenbaren Hengst im Angesicht einer rossigen Stute wie einen folgsamen Hund hinter sich herführt.
Wie man mit Hengsten arbeitet und wie man ohne Sattel und Zaumzeug frei im Gelände reiten kann, wird in diesem Buch vorgeführt. Freilich ist die Autorin nicht so naiv, sehenden Auges unberechenbare Risiken einzugehen. Daher zielt die gesamte Arbeit darauf hin, das Verständnis für das Wesen Pferd zu entwickeln und den Menschen so weit zu fördern, daß er sein Pferd frei reiten kann - wohlgemerkt zum Wohle des Pferdes. Dieses Wohl des Pferdes kann man an den entsprechenden Bildern unmißverständlich ablesen. Die Methode hat zweifellos Erfolg. Wer sein Pferd so reiten kann, lebt den Traum, den viele haben. Dieses Buch weist den Weg dahin. Der Weg ist lang, aber sicher auch nicht länger als andere, und es ist nicht ein Weg nur für Sonderbegabungen. Dieser Weg ist gangbar für durchschnittliche Reiter und durchschnittliche Pferde. Der Traum muß kein Traum bleiben.
Freilich dürfte nicht jeder Mensch in der Lage sein, diesen Weg zu gehen. Muß er ja auch nicht, man kann sich ebensogut mit anderen Dingen beschäftigen. Wenn es aber Pferde sein sollen, dann möchte die Autorin, daß diese Pferde nach Kräften gefördert werden. Wäre es doch so, daß auch Menschen immer optimal gefördert würden! Wir hätten nur vitale, ausgeglichene, kraftstrotzende, glückliche Mitmenschen. Wer den Blick für den Zustand eines Pferdes entwickelt hat, wird nicht umhinkommen, zugleich seinen Blick für den Zustand eines Menschen zu verfeinern. Auch da graust es einen, und so gesehen muß man sich noch wundern, daß die Welt nicht schlimmer aussieht als sie ist.
Wer nach dem System Birmann mit Pferden arbeitet, wird sich selbst ebenfalls in die gleiche Richtung weiterentwickeln. Es arbeitet also der Mensch an sich selbst, wenn er mit dem Pferd arbeitet. Daß Pferdearbeit Menschenarbeit bedeutet, ist freilich ein alter Hut. Die Pferde können das alles schon, was wir von ihnen wollen. Daß Menschen an sich selbst arbeiten wollen, ist eigentlich eher die Ausnahme. Deshalb wird dieses Buch für die Mehrzahl aller Pferdefreunde nicht in Frage kommen. Für die muß ein Pferd nämlich funktionieren. Die Bedürfnisse des Menschen stehen im Vordergrund, das Pferd muß die Erwartungen erfüllen, sonst stimmen die Geschäftsbedingungen nicht. Nicht der Mensch muß sich ändern, sondern das Pferd.
Das Buch wird die Welt also nicht verändern, aber es wird weitreichende Wirkungen bei denen erzielen, die Pferde wirklich lieben. Solche Leute hat es natürlich schon immer und überall gegeben, auch in den klassischen Reitschulen. Fredy Knie jun. reitet eine klassische Dressur ohne Sattel und ohne Zügel - nichts auf dieser Welt ist wirklich neu. Neu ist aber die Vermittlung, neu ist vor allen Dingen immer die persönliche Erarbeitung. Sabine Birmann hat sich das, worüber sie schreibt, selbst erarbeitet. Sie war da, wo wir vielleicht hinwollen, und sie zeigt uns nicht nur, wie es da ist, sondern auch den Weg dahin. Auf diesem Weg ist sie von ihrem Mann begleitet worden, der zu dem vorgestellten System seinen Teil beigetragen hat und auf vielen Bildern erscheint.
Das Buch macht Mut, zeigt aber auch Grenzen und Anforderungen. Es begeistert, ohne offene Fragen zu hinterlassen. Ich wäre nicht überrascht, wenn dieses Buch ein ebensogroßer Bestseller würde wie der Erstling Hempflings. Für eine zweite Auflage wünsche ich mir dringend eine gründliche Durchsicht. Auf die Dauer fand ich es sehr irritierend, ständig "das" und "dass" sowie "sie" und "Sie" beliebig verwechselt zu sehen. Hoffen wir, daß es bald soweit ist!
erschienen 17.07.05
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