| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | Meine Meinung zu dem Buch: von › Werner Popken
Der Film beginnt wie im Fernsehen: schöne Bilder, gute Musik, im Takt geschnitten. Aber bald sieht man den Meister, wie er auf einem wunderschönen Schimmel in sein prächtiges Anwesen reitet, begleitet von seiner Frau Bea Borelle, die im barocken Kostüm ihr Pony vom Boden aus fährt. Einmal noch, gegen Ende des Films, ist sie zu sehen, wie sie in der Reithalle ein Pferd arbeitet und die Lehren des Meisters umsetzt.
Der Rest des Films gehört ihm, und es ist ein Vergnügen, ihm zuzuhören. Nicht nur, weil er in drei Sprachen unterrichtet ("Comment dit-on ça? Gut! Do it again! Ja, gut! Écoutez, Monsieur!"), sondern vor allem, weil er eine so überragende Ausstrahlung hat. Selbst wer des Englischen nicht mächtig ist, kann sich der Faszination dieses Mannes nicht entziehen, weil die Sprache nur einen kleinen Teil der Kommunikation ausmacht.
Ich weiß nicht, ob seine Pferde auch drei Sprachen beherrschen, aber zweifellos kommunizieren sie mit ihm. Die Besitzerin eines holländischen Friesen beteuerte einmal, sie habe holländisch lernen müssen, weil ihr Pferd sie sonst nicht verstanden habe - wie dem auch sei, die Körpersprache von Philippe Karl ist mit Sicherheit ebenso aussagekräftig.
Man könnte die Probe aufs Exempel machen und den Ton ausstellen - warum nicht? Das Ergebnis ist verblüffend! Man sieht den Mann reden und ist irritiert. Es hat keinen Sinn, speziell auf sein Gesicht zu achten - die Hände sind viel wichtiger, die Haltung, die Interaktion. Zufällig hatte ich die Szene erwischt, wo Philippe Karl sich erstmals auf das Pferd setzt. Ich hatte noch gehört, daß er nun all die Lektionen vom Sattel aus wiederholen wird, die er bereits am Boden geuebt hatte.
Und dann fehlte der Ton. Der Meister sitzt im Sattel und redet. Er erklärt uns Zuschauern noch einmal, worauf es ankommt. Das Pferd steht, er sitzt gelassen und gerade. Das Pferd spielt mit dem Gebiß. Da fiel mir wieder ein, wie wichtig ihm dieses Spiel ist. Er hat sich zu Anfang viel Zeit genommen, über das Gebiß und das Spiel des Pferdes mit dem Gebiß zu sprechen.
Immer wieder kommt er auf die Empfindlichkeit des Pferdemauls zurück. Deswegen ist er strikt gegen Ausbinder - merkwürdig, dieses Wort als Bestandteil der englischen Sprache zu hören. Philippe Karl spricht nämlich englisch zu uns Schülern, der Sprecher der deutschen Version bringt eine mehr oder weniger freie Übersetzung (die englische Version habe ich nicht getestet).
Die ganze Zeit spielt das Pferd mit dem Gebiß, steht ruhig, und der Meister demonstriert, wie feinfühlig er über die Zügel Kontakt mit dem Pferdemaul aufnimmt. Das Pferd reagiert sofort, und der Meister ebenfalls - es ist eine Kommunikation, man sieht es ganz deutlich, und man sieht es noch deutlicher, als wenn man gleichzeitig dem gesprochenen Wort lauschen würde.
Die Verbindung zu den Zeichnungen stellt sich her, die Philippe Karl immer wieder einstreut. Zunächst mag es merkwürdig anmuten, daß in einem Film eine Zeichnung präsentiert wird, aber genau diese theoretischen Einschübe sind extrem wichtig. Mit schematischen Zeichnungen, die in Büchern recht häufig verwendet werden, arbeitet Philippe Karl heraus, worauf es jeweils ankommt.
Und dabei wird deutlich, daß das Video gegenüber dem Buch einen ganz enormen Vorteil hat: Der Lehrer steht vor der Zeichnung und erläutert sie, seine Hände zeigen auf die wesentlichen Punkte, über die er gerade redet, seine Körpersprache unterstützt die Argumentation, etwa wenn er davon spricht, daß er den langen Pferdehals als eine Art Balancierstange benutzt und ohne großen Kraftaufwand das Pferd durch reine Signale steuert. Er reckt dann seinen Hals vor, als sei er ein Pferd, und manchmal muß er selbst über das Pferd grinsen, das im Hintergrund aus seinem Stall schaut und den Clown spielt.
Er predigt die Ruhe und Gelassenheit und er lebt die Ruhe und Gelassenheit vor. Er weiß, worauf es ankommt, wo er jetzt steht, wo er hin will, wie er das erreichen kann, und was er dazu tun muß. Aus dieser Erfahrung und Sicherheit heraus kann er sich die Zeit nehmen, das Pferd in ganz kleinen Schritten anzuleiten. Um so verblüffender die Erkenntnis, daß er auf diese Weise in kürzester Zeit die richtigen Ergebnisse bekommt.
Der Film beginnt mit dem einfachen Longieren. Aber schon hier zeigt es sich, daß es eben darauf ankommt, alles zum rechten Zeitpunkt mit dem rechten Maß zu tun und jederzeit zu wissen, wo man steht und was man zu tun hat, wenn die Dinge sich nicht so entwickeln, wie sie sollten - mit anderen Worten, man muß genau wissen, wie die Ausbildung eigentlich sein müßte.
Das demonstriert der Meister im einzelnen. Er weiß, wie es am besten geht, und zeigt es uns, damit wir dieses Wissen ebenfalls erwerben und nach und nach so handeln können, so handeln müssen, wie er, dem alles schon im Fleisch und Blut übergegangen ist.
Er kann es aber nicht nur, sondern er hat auch darüber reflektiert, warum die Dinge so sein müssen und wie man sie am besten macht, und kann seine Erkenntnisse vorzüglich übermitteln. Ich hatte von irgend jemandem gehört, daß er ein furchtbarer Lehrer sei. Er könne sich überhaupt nicht verständlich machen, wirke hilflos, man müsse ihn bedauern.
Wenn das überhaupt jemals zugetroffen hat, so ist davon nichts mehr zu merken. Philippe Karl ist absolut selbstsicher und souverän, spricht als Autorität, die sich durch das Können automatisch ergibt. Man spürt, daß er nicht nur weiß, daß er etwas zu sagen hat, sondern er weiß auch, daß er seine Botschaft vermitteln kann. Ein großartiger Lehrer, der durch den Film weit mehr Menschen erreichen kann als durch die reine Lehrtätigkeit.
Nicht nur, daß man sich den Film immer wieder anschauen kann, er ist auch wesentlich preiswerter als eine reale Unterrichtsstunde. Natürlich fehlt beim Film die Interaktion mit dem Schüler. Der Lehrer spricht zur Kamera, und das ist eine Maschine. Insofern ist ein Film eher vergleichbar mit einem Buch. Der Autor kann aber das Tempo diktieren, während der Zuschauer die Reihenfolge und die Wiederholungen bestimmen kann.
Philippe Karl macht vieles anders als andere Lehrer, und seine Methode klingt überzeugend. Er plädiert zum Beispiel strikt dafür, eins nach dem anderen einzuführen. Erst die Hände, dann der Sitz, dann die Schenkel. Die Begründung ist einfach: So kann das Pferd am besten lernen. Es lernt zunächst, auf die Hände zu achten und diese Signale eindeutig zu verstehen und umzusetzen. Dann kann es sich zum Beispiel auf die Schenkelhilfen konzentrieren; die Hände bleiben dabei völlig ohne Aktion, um das Pferd nicht zu verwirren.
Wenn man sieht, wie schnell und mühelos Philippe Karl ein Pferd rückwärts richtet und sich in Erinnerung ruft, welche Vergewaltigung dieselbe Aktion normalerweise bedeutet, wird klar, daß seine Methode nicht nur angenehmer für die Pferde ist; sie ist auch befriedigender für den Reiter. Rückwärtsrichten beginnt vom Boden aus, wie alles bei Philippe Karl.
Wir hatten von der Rolle des Gebisses erfahren; er beginnt im Stand mit dem Gebiß zu spielen. Und unversehens reagiert das Pferd und geht zurück. Sofort reagiert der Lehrer und signalisiert dem Pferd, daß es gut verstanden hat. Nach einer Weile wiederholt er die Lektion, und schon ist sie gelernt.
Dann braucht er sich nur noch in den Sattel zu setzen und dieselbe Lektion vom Sattel aus abzurufen. Das war's. So einfach kann es sein. Die anderen Übungen werden ebenfalls aus der Longe heraus vorbereitet und geuebt: Schulterherein, Konterschulterherein, Travers, Renvers, Vorhandwendung, Ansätze zur Pirouette, und das Ganze nochmal vom Sattel aus.
Natürlich sieht es beim Meister immer ganz einfach aus, aber so soll es ja auch sein. Von wem will man denn sonst lernen, wenn nicht von den Meistern? Philippe Karl ist in meinen Augen ein ganz großer Meister und ich freue mich schon auf den zweiten und dritten Teil dieser Serie. Selbst wenn Sie schon alle Bücher und Filme über die Reitkunst besitzen und durchgearbeitet haben, möchte ich Ihnen diesen Film ans Herz legen.
Inge Vogel, die für die Produktion verantwortlich zeichnet, hat mir von diesen Filmen vorgeschwärmt. Ich kenne seine Bücher, war skeptisch und erwartete etwas trockene und steife Instruktionen. Aber jetzt verstehe ich ihre Begeisterung. Von diesem Mann kann vermutlich jeder etwas lernen.
erschienen 04.07.04
Siehe auch die folgenden Rezensionen: Ausgabe 168, Karl, Philippe: › Reitkunst, Klassische Dressur bis zur Hohen Schule Ausgabe 374, Karl, Philippe: › Irrwege der modernen Dressur, Die Suche nach der "klassichen" Alternative, Cadmos Handbuch
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