Chinesische Quadriga
Unbekannt, China Kaiserliches Gespann, Ausschnitt Original etwa halbe Lebensgröße, 130x70 cm Aufnahme des Modells, ca. 40x20 cm, Foto 6.9.03 Moorweide, Bahnhof Dammtor, Hamburg
Seit einer Woche hat die Ausstellung , die ich letztes Jahr in Hamburg besucht habe, wieder geöffnet: bis 27.6.2004 in Berlin, Schloßplatz 1, Palast der Republik, vom 11.7. bis 19.9.2004 in Oberhausen.
Die Nachbildungen der Tonfiguren aus der Terrakottaarmee, die ich im Galeriebeitrag gewürdigt habe, sind ebenso wie die Originale lebensgroß. Von den Modellen der kaiserlichen Kutschen sind wiederum Modelle angefertigt worden, die in eine kleine Vitrine passen. Von diesen habe ich unter ungünstigen Lichtverhältnissen einige Aufnahmen gemacht, die ich Ihnen immer einmal zeigen wollte. Die Wiedereröffnung der Ausstellung scheint mir ein guter Anlaß hierfür vermzu sein.
Natürlich haben sich schon die Chinesen darüber geärgert, daß die Pferde mit ihren Schweifen schlagen und diese sich dann mit den Fahrleinen verheddern. Wie man an den lebensechten Skulpturen sieht, haben sie sich etwas einfallen lassen, was ich bis dato noch nie gesehen hatte.
Kommentar Von › Gerd Hebrang
In einem 7 mal 2,3 m großen Holzsarkophag, 20 Meter westlich des Grabhügels in einer Grube entdeckt, fand man zwei hintereinander stehende Gespanne aus Bronze, die den wirklichen Gespannen bis aufs Detail gleichen, obwohl sie nur halb so groß sind. Beide Kutschen werden vierspännig gefahren, jedoch als Quadriga.
Das vierspännige Fahren, wie wir das heute kennen, ergibt sich aus dem Straßenbau. Im Tip habe ich zum Besten gegeben, daß die Breite der römischen Pferdehintern die Breite des Straßenbaus im römischen Reich bestimmt hat, diese wiederum die Spurweite der Eisenbahnen und diese wiederum die äußeren Abmessungen des Space Shuttle.
Wenn man keine Straßen hat oder diese übermäßig breit sind, kann man natürlich auch viele Pferde nebeneinander spannen. Bei heutigen Hengstparaden und sonstigen Pferdeshows führt man gern das römische Wagenrennen vor - in der Halle oder auf dem Platz, wo es wegen der Breite des Gespanns keine Probleme gibt. Andernfalls muß man die Pferde hintereinander gehen lassen, was wesentlich schwieriger ist. Heute kann man sich in dieser Kunst wettbewerbsmäßig auszeichnen. Das wettbewerbsmäßige Fahren mit der Quadriga war demgegenüber vergleichsweise primitiv und einfach nur ein wildes Rennen gegen die Zeit.
Zu Zeiten des ersten chinesischen Kaisers waren die Straßen bestimmt ebenso verstopft wie heute. Daher nimmt man an, daß das erste Fahrzeug den Weg freizumachen hatte, damit das zweite Fahrzeug mit den kaiserlichen Gästen unbehelligte vorankam. Vermutlich wurden noch Soldaten zu Fuß und Reiter vor den beiden Gespannen eingesetzt, so wie man das auch heute mit Motorradeskorten vor und nach dem Konvoi der Staatsgäste zelebriert.
Schweifmode
| | Gesamtansicht von der Seite | | | |
| | | Detail: Schweifriemen am Gurt | | | |
| | | Geflochtener Schweif beim Reitpferd | | | |
| Der Wagen ist einachsig, wie auch die Streitwagen. Einachsige Fahrzeuge sind sehr wendig und ziemlich umsturzsicher. Außerdem sind sie recht leicht zu konstruieren, während Zweiachser bei der Lenkung ein konstruktives Problem aufwerfen. Momentan bin ich überfragt, wann das erste zweiachsige Fahrzeug nachweisbar ist und welche Art von Lenkung zunächst erfunden wurde. Möglicherweise kannte man vor 2200 Jahren noch gar keine zweiachsigen Fahrzeuge.
Da fällt mir ein, daß ich vor etwa 100 Ausgaben bereits über vorzeitliche zwei einzige Wagen geschrieben habe ( , , ). Die beiden ältesten haben offenbar gar keine Lenkung, aber der keltische Wagen aus Baden-Württemberg und der aus Frankreich haben eine Drehschemellenkung, mit der die bäuerlichen Fahrzeuge im letzten Jahrhundert ebenfalls ausgestattet waren. Diese Wagen sind älter als die chinesischen Wagen, nämlich mehr als 2500 Jahre alt. Nun sind sie in einem anderen Kulturkreis entstanden, es ist nicht überliefert, daß die beiden Kulturen sich damals haben austauschen können. Die Frage nach den zweiachsigen chinesischen Wagen muß also offenbleiben.
Im Beitrag über den englischen habe ich erwähnt, daß die Räder zwölf Speichen haben. Eine Teilung des Umfangs in sechs gleiche Teile ergibt sich mit dem Zirkel über den Radius. Diese Teile noch einmal zu halbieren, ist keine große Kunst. Die chinesischen Räder haben 30 Speichen (ich habe nachgezählt). Die werden also das Geheimnis des Radius ebenfalls gekannt haben.
Das dänische Fahrzeug ( ) hat vier Speichen, was sich aus einer doppelten Halbierung ergibt - ebenfalls eine leichte Übung, die schon im Kindergarten erfolgreich gelöst wird (teile einen Apfel). Der hat acht Speichen - das können die Vorschulkinder ebenfalls noch hinbekommen. Die beiden keltischen Wagen hingegen haben zehn Speichen! Donnerwetter! Wie macht man das? Man kann natürlich immer probieren - haben die Historiker, die diese Wagen ausgegraben und rekonstruiert haben, darüber nachgedacht?
Als ich die Artikel schrieb, habe ich auf diese Frage gar nicht geachtet. Auf jeden Fall schließe ich, daß im Norden die Sache mit den Radius nicht bekannt war. Etwa um dieselbe Zeit haben aber die Griechen ihre großen Entdeckungen in der Geometrie gemacht. Die haben ja eigentlich die Mathematik erfunden und einen Beweis geführt, daß es sich mit den Radius wirklich so verhält.
Auch bei den Pferden in der Armee sind die Schweife zu einem Knoten zusammengebunden, wenn sie vor einer Kutsche eingespannt waren. Die Soldaten machten das ja ebenfalls, das Binden von Haaren zu einem Knoten gehörte offenbar zur Routine. Reitpferde hatten den Schweif in voller Länge geflochten. Beide Techniken werden auch heute noch gerne angewandt, obwohl ich eine so konsequente Flechtarbeit wie bei den Chinesen noch nicht gesehen habe.
Absolut neu hingegen ist die Idee, die Schweife, die ja schon durch den Knoten etwas gezähmt sind, zusätzlich durch eine Schelle und einen Riemen, der zwischen den Hinterbeinen unter dem Bauch des Pferdes zum Bauchgurt führt, in ihrer Bewegungsfreiheit zu beschränken.
Die Gespanne
| | Plakat in der Ausstellung | | | |
| | | Modell des kaiserlichen Wagens | | | |
| | | Kutscher des vorderen Wagens | | | |
| | | Deichsel und Quaste am ersten Pferds | | | |
| Diese Einzelheiten sind in den Modellen liebevoll nachgearbeitet worden. Das Überraschende ist, daß die heutigen Techniken bereits vor 2200 Jahren vollständig entwickelt waren. Die Pferde tragen ein Gebiß, das Halfter, das Geschirr, die Leinen, der Wagen, all das hat sich seither kaum verändert.
| Der Wagen des ersten Gespanns [...] wird durch eine Art Schirm (Durchmesser 122 cm) geschützt, unter dem der Wagenlenker, ein Offizier mit Dolch am Gürtel, steht. Der Wagen ist darüber hinaus mit einem Schild und einer Armbrust sowie einem Bogen und Köcher mit 66 Pfeilern versehen. Die Pferde sind weiß angestrichen. Sie sind 90 Zentimeter hoch und 110 Zentimeter lang. Ihr Zaumzeug ist aus Gold und Silber. Unterhalb der Ganaschen befindet sich bei jedem Pferd eine schmückende Quaste. Das Pferd rechts außen (vom Wagenlenker aus gesehen) trägt eine ganz ähnliche Quaste auf dem Kopf. Sie zeigt an: dieses Gespann ist der kaiserlichen Familie vorbehalten. Die Stirnriemen der Pferde sind mit einem Goldplättchen in Tropfenform verziert. Die Pferde stehen mit erhobenem Kopf und blicken geradeaus, wie bereit zum Losgaloppieren.
Das zweite Gespann (Anche = Friedenswagen) ist 3,17 Meter lang und 1,06 Meter hoch. Er wiegt 1241 Kilogramm. Der Wagen besteht aus zwei Abteilen. Das vordere, kleinere, ist für die Leibwache, das hintere für den Kaiser bzw. ein kaiserliches Familienmitglied. Der Wagen besitzt an der Rückseite eine Tür und auf beiden Seiten je ein Schiebefenster, dessen rhombische Löcher für eine gute Belüftung sorgen. Der Fahrgast kann hinaussehen, ohne die Fenster öffnen zu müssen. Das zur Mitte hin gewölbte Dach des Wagens ist ein Viereck, dessen Ecken jedoch abgerundet sind. Im Verständnis der alten Chinesen war die Erde rechteckig und der Himmel rund. Diese Auffassung spiegelt sich in Wagen und Dach wider. Der Wagenlenker - ein Offizier mit Dolch am Gürtel - kniete in der Hocke. Die Figur ist 51 Zentimeter hoch. Er trägt einen langen Rock und einen Hut, der dem Kamm eines Fasans ähnelt. Sein Blick ist konzentriert. Um seine Lippen spielt ein leichtes Lächeln. Der Gesichtsausdruck sagt: Ich bin stolz auf meine Position, die mich über andere erhebt, und jederzeit zu absolutem Gehorsam bereit.
In China gilt die Shang-Dynastie (1600-1100 v.Chr.) als Höhepunkt der Bronzezeit. Danach entstanden allmählich mehr Eisenwaren. In der Qin- und Han-Dynastie (221 v. Chr. - 220 n.Chr.) wurden schließlich nur noch wenige Dinge aus Bronze gefertigt. Das Niveau der freigelegten Bronzen zeigt, wie hochentwickelt die Bronzeverarbeitung in der Qin-Dynastie war. Sie sind ein Beweis dafür, daß die Bronzeverarbeitung zum Ausgang der Bronzezeit noch einmal einen großen Entwicklungssprung machte. So setzt sich das Gespann Nr. 1 aus 3064 und das Gespann Nr. 2 aus 3462 Einzelteilen zusammen. Über Tausend davon sind aus Gold und Silber.
Für den Zusammenbau der Einzelteile wurden Guß- und Schweißtechnik, Verzapfen, Einlegen und Steckverbindungen verwendet. Vor allem letztere stellen einen neuen Entwicklungsabschnitt dar. Der Metalloberfläche wurde durch Polieren, Meißeln und Eingravieren der letzte Schliff gegeben. Zaumzeug und Zierriemen haben Ketten, deren Glieder aus Bronzedraht sind, der dünnste mit einem Durchmesser von nur 0,5 Millimeter. Ein weiterer Beweis dafür, daß das Bronzedrahtziehen und Schweißen einen sehr hohen Stand erreicht hatte. , Seite 120/121 | | |
Die kleinen Modelle in der Ausstellung können die Pracht der Originale natürlich nicht wiedergeben, sind aber für sich schon eindrücklich genug. Die Ausstellung hebt auf die lebensgroßen Terrakottafiguren ab, das ist die Sensation. Die Kutschenmodelle sind Zugabe.
Der Katalog, der vom Tourismusverlag Chinas herausgegeben wurde (alle Rechte bei der Gesellschaft für Internationale Werbung und Touristikpublikationen Huatian), ist ganz vorzüglich und wird in Europa von der Pfrenzinger/Grüneberger GbR vertrieben, die die gesamte Ausstellung verantwortet. Mit diesem Katalog kann man sich schon mal einstimmen auf die Chinareise, die selbstverständlich auch zur Terrakottaarmee führen muß. Und dort kann man dann die Kutschen im Original sehen.
Im Internet habe ich bisher sehr wenig darüber gefunden. Ein freundlicher Zeitgenosse hat über viele seiner Reisen in die gesamte Welt berichtet, unter anderem über seine Chinareise im Jahre 2002 ( ). In seinem Hotel hat er eine weitere Nachbildung der Kutschen gesehen und fotografiert ( ). Vielleicht kann man so etwas sogar als Souvenir erwerben. Es dürfte etwas sperrig sein, und der Transport wird einige Mühe bereiten. Aber wer weiß, vielleicht gibt es das alles schon platzsparend verpackt.
In der Ausstellung kann man eine Art Setzkasten erwerben, der vier oder fünf Figuren der Terrakottaarmee als kleine Nachbildung enthält, darunter ein Pferd. Ganz augenscheinlich sind diese handgefertigt, denn von Kasten zu Kasten weichen die Figuren leicht voneinander ab. Ich habe keinen erworben - denn ich besaß schon einen.
Den habe ich bei Porta Möbel erstanden, einem großen Möbelhaus, in das ich zufällig hineingeraten war. Und ebenso zufällig sah ich dort die Figuren, ohne von der Ausstellung zu wissen, ohne einen Zusammenhang zur Terrakottaarmee herstellen zu können, und konnte trotzdem nicht widerstehen. Vielleicht würdige ich sie eines Tages einmal im Rahmen dieser Reihe. Den Bezug zur Terrakottaarmee habe ich vermutet, denn von der Armee hatte ich natürlich schon viel gelesen. Diese Figuren mußten damit im Zusammenhang stehen. Um so erfreuter war ich, den Kasten im Souvenirshop der Ausstellung wiederzufinden. Meine Vermutung war also richtig gewesen.
Fotos
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