Turm der blauen Pferde Franz Marc, Deutschland Der Turm der blauen Pferde �l/Leinen, 200x163 cm, ehemals Berlin, Nationalgalerie, verschollen Dieses Bild ist ber�hmt. Als J�ngling h�rte ich davon und konnte mir nichts darunter vorstellen. Ein Turm? Von Pferden? Was sollte das sein? Eines Tages muss ich eine Abbildung gesehen haben, denn es gibt einen Turm von Pferden, den ich gemalt habe, der ganz �hnlich aussieht wie dieser Turm; meine Erfindung konnte es ja auch nicht sein. Sie sind aber nicht alle blau, sondern jedes Pferd hat seine eigene Farbe. Die Abbildung war also wohl unfarbig. Das erste meiner Pferde ist blau, eins ist gelb, eins ist rot, soviel erinnere ich. Alles blau schien mir wohl zu eint�nig. Wie gro� mag das Original wohl gewesen sein? Wieso ist es verschollen? Auf Anhieb habe ich nichts dar�ber gefunden. Das Bild muss aber wohl seit jeher eine gro�e Faszination ausgeuebt haben, mehr als seine konventionelleren Bilder von Pferden - selbst wenn die gelb, rot, blau oder gr�n waren. War es die Zersplitterung der Form, die das Bild ber�hmt machte? Franz Marc, 1880-1916 Nachdem er zuerst Pfarrer werden wollte, versp�rte er im Alter von 20 Jahren eine Berufung zum Maler und begann, an der M�nchener Akademie zu studieren. Auf zwei Reisen nach Paris (1904 und 1907) lernte er die Bilder Manets, der Impressionisten und von Vincent van Gogh kennen. Im Jahre 1910 freundete er sich mit August Macke an. Das Jahr 1911 war f�r ihn ein entscheidendes Jahr: Er lernte die Maler Jawlensky, Kandinsky, M�nter und Werefkin kennen, mit denen er die K�nstlergemeinschaft des "Blauen Reiters" gr�ndete. Franz Marc starb am 4.3.1916 im Ersten Weltkrieg in der N�he von Verdun als Soldat. Kommentar Von Werner St�renburg Die Staatsgalerie Stuttgart hat im Jahr 2000 eine » » » Ausstellung» f�r Franz Marc ausgerichtet, die ausschlie�lich dem Thema Pferd gewidmet war (Katalog » » » Pferde» , 35 EUR, 220 Illustrationen, davon 140 in Farbe). 129 Werke wurden zusammengetragen, �lbilder, Zeichnungen, Aquarelle, Graphiken, seine ber�hmten Postkarten und eine Skulptur. Stuttgart selbst besitzt die Gem�lde » » » Kleine Blaue Pferde (1911) und » » » Kleine Gelbe Pferde (1912). Man kann also sagen, dass das Thema Pferd den Maler umgetrieben hat. Pferde m�ssen ihm sehr viel bedeutet haben. Er hat sie erst anl�sslich seiner Milit�rausbildung n�her kennengelernt. Im Ersten Weltkrieg wurde er nat�rlich auch als Reiter eingesetzt, und er ist auf dem Pferd gestorben, getroffen von einer Splittergranate, auf einem Erkundungsritt. Kurz zuvor wurde es m�glich, K�nstler von der Front freizustellen. F�r Franz Marc kam diese M�glichkeit zu sp�t. Tiere Franz Marc hat auch andere Tiere gemalt, K�he zum Beispiel, oder Tiger, F�chse, Rehe usw., aber die Pferde sind die bekanntesten. Sie sind auch sehr beliebt. Am beliebtesten sind die sentimentalen Werke, was nicht verwundert. Der Turm der blauen Pferde ist nicht sentimental. Die » » » Roten Rehe sind auch sehr beliebt. Bei meiner Recherche habe ich nat�rlich » » » Google» benutzt, was ich nicht mehr erl�utern muss, weil inzwischen jedermann Google kennt, und zwar mit den Suchbegriffen » » » marc pferde. Ich erhielt "ungef�hr 6,900" Resultate, wie Google sich auszudr�cken pflegt, von denen die ersten 100 angezeigt wurden. Durch die habe ich mich durchgearbeitet. Etwa im zweiten Drittel, vor der H�lfte bin ich auf einen Satz gesto�en, der mich aufmerken lie�. Ich dachte, ich h�tte etwas Interessantes gefunden. Dann musste ich lachen. Ich hatte es selbst geschrieben! Unter dem Titel » » » A_Jugend» zeigte Google an: ... Ich habe dann noch zwei Monets kopiert und die roten Pferde von Marc und dann habe ich einen Marc frei erfunden. Ich hatte vom Turm der blauen Pferde gelesen ... | | Genau. So hatte ich das in meinen Erinnerungen formuliert. Ziemlich genau so wie oben, meine Erinnerung l�sst nach, ich wiederhole mich. Das musste ich mir also nicht angucken. Aber jetzt wollte ich doch wissen, wie gut ich das damals gemacht hatte. Na ja, in Anbetracht der Tatsache, dass ich sehr jung war, ein blutiger Anf�nger mit primitiven Mitteln - nicht schlecht. Es am�siert mich. Das Bild existiert noch. Meine Eltern hatten es in Gold gerahmt (mit einer Tapetenleiste) und im Treppenhaus aufgeh�ngt, es hat ihnen wohl gefallen. Nach ihrem Tode ist es wieder in meinen Besitz gelangt. Ich habe es nat�rlich nicht aufgeh�ngt, bewahre es aber auf. In wie vielen Zimmern m�gen Drucke oder Kopien von Werken von Franz Marc h�ngen? Es werden Millionen sein. Fast jeder kennt seinen Namen. Insofern hat er gro�en Erfolg gehabt. Was aber sagen seine Bilder eigentlich aus? Worum geht es? Was erwarten die Besucher einer solchen Ausstellung von den Bildern, was bietet der Museumsleiter seinen Kunden? Was sagte der Maler selbst �ber sein Werk, was die Kunsthistoriker? Was hatten mir die Bilder von Marc damals zu sagen? Was sagen sie mir heute? Entwicklung Ich will und kann hier keine ausf�hrliche Abhandlung abliefern. Die religi�sen Anf�nge von Marc deuten es aber schon an: er war ein Schw�rmer und projizierte auf die Tiere seine Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Harmonie, nach Geborgenheit, nach Einverstandensein. Die Pferde eigneten sich dazu insofern gut, als sie Herdentiere sind. Marc hat auch einzelne Pferde dargestellt, �berwiegend aber Gruppen, die eine Idylle zeigen. Damit entsprechen sie einem allgemeinen Thema (Paradies, Schlaraffenland), das uns �berall begegnet, auch in der Malerei, und da besonders in Frankreich, n�mlich der Darstellung des m�helosen Wohlbefindens (zur Schaffenszeit von Marc: Matisse, » » » Luxus, Stille, Wohlbefinden 1904, » » » Lebensgl�ck» 1905, » » » Luxus I 1907) So haben seine Bilder oft etwas M�rchenhaftes, Naives, Illustratives. Man mag das positiv oder negativ finden - in diesem Sinne sind Bilder Sprungbretter der Seele ebenso wie Musik. Und wer will den Zuh�rer schon schelten, wenn er sich von der Musik verzaubern und entf�hren l�sst? Das ist doch fast die Regel, man k�nnte schon meinen: der Hauptzweck der Musik. Franz Marc hat sich zweifellos als moderner K�nstler empfunden. Er hatte einige Adelige als Lehrer (Gabriel von Hackl, Wilhelm von Diez), die mit Sicherheit nicht modern waren, sondern vermutlich dem deutschen Impressionismus verpflichtet. Einschub: Was mir schon als Sch�ler aufgefallen ist: im letzten Jahrhundert war es anscheinend in Deutschland ein gangbarer Weg f�r einen Adeligen, Maler zu werden. Beispiele: Moritz von Schwind, Julius Schnorr von Carolsfeld, Karl von Piloty, Hans von Mar�es, Ferdinand von Rayski, Fritz von Uhde, Leo von K�nig, Heinrich von Z�gel, Wilhelm von Kaulbach, Friedrich August von Kaulbach - und das sind nur die ber�hmten und bekannten, es gibt sicher mehr. Nat�rlich sind auch einige Maler b�rgerlich gewesen und f�r ihre Verdienste sp�ter geadelt worden: Franz von Stuck, Adolph von Menzel, Franz von Lenbach, auch da sicher mehr. Zur�ck zu Marc: seine Fr�hwerke sind verst�ndlicherweise sp�timpressionistisch und harmlos, schlagen aber schon dieselben Themen an wie seine heute �beraus ber�hmten Werke. Er unternimmt 1903 Reisen nach Florenz, wo sein Bruder studiert, und nach Paris, wo er japanische Holzschnitte kauft, die bekanntlich auch Vincent van Gogh begeistert haben ("Springende Fohlen" zeigt deutlich den Einfluss von van Gogh). Noch scheint aber die Initialz�ndung nicht gelegt worden zu sein. "Weidende Pferde" ist von der Farbgebung gar nicht typisch f�r den Marc, den wir meinen. Erst die Begegnung mit August Macke im Jahre 1910 bringt die Wende. Botschaft Das ist verwunderlich, denn 1909 hatte Marc in M�nchen eine Gauguin-Ausstellung gesehen und sich mit Cezanne, Denis, Matisse und Signac besch�ftigt. August Macke hatte ebenfalls Paris besucht, mehrfach sogar, und daran gedacht, dort sesshaft zu werden. Auch seine Hochzeitsreise 1909 f�hrte ihn nach Paris. Er wird dort die verschiedenen revolution�ren Str�mungen im Kunstbetrieb wahrgenommen haben. Macke sch�pfte aus dem Vollen. Diesen Eindruck hat man von Marc nicht (man beachte das deutliche Selbstzitat aus "Weidende Pferde" in "Rote Pferde"). Im Jahr 1910 hat Macke z. B. unter dem Eindruck einer Matisse-Ausstellung in M�nchen �ber 120 Bilder gemalt, die die Wende vom Impressionismus zu einem farbigen Fl�chenstil vollziehen. Macke sah Tier-Lithographien von Marc in einer M�nchner Galerie und suchte den Kontakt. Marc war von den Vettern Macke fasziniert: "Endlich einmal Kollegen von so innerlicher, k�nstlerischer Gesinnung getroffen zu haben, rarissime!" Anscheinend traute er sich erst durch dieses Beispiel, alte Konventionen �ber Bord zu werfen. Er �bernahm Bildl�sungen ihm fremder Quellen. Das ist aber keine gute L�sung. Besser w�re es gewesen, wenn er aus eigenem Antrieb h�tte handeln k�nnen. Aber in welche Richtung h�tte er gehen sollen? Was war sein Eigenes? Wo sprach sich Marc rein und stark aus? Was war die ureigene Botschaft des Franz Marc, die ihm selbst noch unbekannt war? Das ist f�r jeden K�nstler ein gro�es Problem, f�r jeden Menschen sogar, denn jedes Leben ist einzigartig und muss aktiv gestaltet werden. Bei den K�nstlern sieht man es nur deutlicher. Da das eigene Leben gefunden werden muss, kann es keine Nachahmung geben, nur Vorbilder, die Anregungen liefern, die f�r die eigenen Zwecke adaptiert werden m�ssen. So ist jeder im Grunde allein, bedarf aber der Gemeinschaft, die Unterst�tzung geben kann. Beziehung Im selben Jahr schlossen sich Marc und Macke der K�nstlervereinigung von Kandinsky an, die dann "Der blaue Reiter" genannt wurde. Marc schrieb dazu: In unserer Epoche des gro�en Kampfes um die neue Kunst streiten wir als "Wilde", nicht als Organisierte gegen eine alte organisierte Macht... Es ist unm�glich, die letzten Werke dieser "Wilden" aus einer formalen Entwicklung und Umdeutung des Impressionismus heraus erkl�ren zu wollen. Die sch�nsten prismatischen Farben und der ber�hmte Kubismus sind diesen "Wilden" als Ziel bedeutungslos geworden. Ihr Denken hat ein anderes Ziel: Durch ihre Arbeit ihrer Zeit Symbole zu schaffen, die auf die Alt�re der kommenden geistigen Religion geh�ren und hinter denen der technische Erzeuger verschwindet. | | Da haben wir es. Er ist ein fehlgeleiteter Theologe und verquaster Theoretiker. Das ist f�r uns heute schwer verdaulich. Er sucht, aber er findet nicht. Das ist sehr schade und bedauerlich. Der Turm der blauen Pferde oder Elefant etc. sind gute Beispiele daf�r. Er vermischt die Ans�tze von Kandinsky und des Kubismus mit seinen eigenen romantischen, gef�hlsseligen Sehns�chten. Heraus kommt ein Bild, das weder Fisch noch Fleisch ist und einfach nur "gut gemeint" wirkt. Er hat es nicht begriffen, worum es den anderen geht, worum es ihm selbst geht, und geht irre. So sehe ich das heute. Die Kunsthistoriker und Kunstkritiker bem�hen sich, die Werte des etablierten Kunstbetriebs nicht zu verunsichern und plappern die alten Beschw�rungsformeln nach, die sich schon so lange bew�hrt zu haben scheinen. Selten einmal findet man eine Ausnahme wie den Beitrag von Christian Gampert zur Stuttgarter Ausstellung in » » » Freitag» , 23.06.2000. Zitat: Er glaubte an die Wiedergeburt und sah das Leben nur als Durchgangs-Stadium - diejenigen, die sich heute an seinen kleinen gelben Pferdchen delektieren, sollten bedenken, dass Franz Marc auch die ganze Wirrheit einer Epoche repr�sentiert. Die Bilder sind nur die Oberfl�che. Das Pferd, das Franz Marc zum "absoluten Wesen" ernannte, war eine T�uschung. | | Richtig, die Epoche war wirr, genau wie die unsere und vermutlich �berhaupt alle. Kunsthistoriker und Kunstkritiker wissen meistens auch nicht viel, was sehr gut ist, denn dann muss der Betrachter mit dem Werk seine eigene Beziehung aufnehmen. Und die wird im Fall von Marc in der Regel sentimental sein. Was �berhaupt nicht schlimm ist. Sentimentalit�t ist eing�ngig, auch wenn und gerade weil man keine Erfahrung hat. Die Sentimentalit�t muss aber �berwunden werden, denn sie ist verlogen. Durch die Besch�ftigung mit den Bildern von Marc kann man das erkennen und erreichen. Der Erste Weltkrieg war f�r Marc ein Instrument der Reinigung, er ist begeistert in den Krieg gezogen. Dieses Schicksal teilte er mit vielen Zeitgenossen. Durch seinen fr�hen Tod sind uns weitere Experimente in eine Richtung, die ihm nicht gem�� war, erspart geblieben. Zum Schluss noch ein Beispiel verquaster Poesie: Als der blaue Reiter war gefallen... Griffen unsere H�nde sich wie Ringe; K��ten uns wie Br�der auf den Mund. Harfen wurden unsere Augen, Als sie weinten: Himmlisches Konzert. Nun sind unsere Herzen Waisenengel. Seine tiefgekr�nkte Gottheit Ist erloschen in dem Bilde: Tierschicksale. » » » Else Lasker-Sch�ler Neue Jugend, Monatszeitschrift 1. Jahr, Ausgabe 11/12 Februar/ M�rz 1917, Seite 245 | |
Quellen Fotos Wie angegeben unter Berufung auf das Zitatrecht (Fair Use). | |