| Mit dieser unverblümten Aussage machte der etwas ruppige, aber herzensgute Landtierarzt jedoch alles noch viel schlimmer, denn nun wurde den Zuschauern erst das wahre Ausmaß der Tragödie bewusst, wodurch ein Riesentumult ausbrach. Einige Kinder begannen zu weinen und zu schreien, manche Frauen kreischten hysterisch los, und ein paar mutige Männer versuchten, das völlig verschreckte Tier in eine Ecke des Turnierplatzes zu treiben - allerdings ohne Erfolg.
Mit Entsetzen sah Belinda die für ihr Traumpferd anscheinend aussichtslose Situation, doch plötzlich ertönte eine freundliche, aber resolut klingende, weibliche Stimme aus dem Lautsprecher: "Sehr geehrtes Publikum! Bitte verlassen Sie ausnahmslos alle sofort den Parcoursplatz und die nähere Umgebung und verhalten Sie sich ruhig, denn sonst ist es für uns unmöglich, das Pferd rechtzeitig einzufangen. Sie helfen uns wirklich sehr damit. Danke!"
Zu Lindas größtem Erstaunen befolgten die Leute Frau Wegners Anweisungen wirklich prompt, und bereits wenige Sekunden später wurde das Mädchen von seiner Reitlehrerin am Arm gepackt und mit sich fortgerissen.
"Komm, Linda, du musst mir helfen! Du gehst jetzt von schräg hinten ganz langsam auf die Stute zu. In etwa acht Meter Entfernung von ihr bleibst du dann stehen. Die ganze Zeit über musst du aber darauf achten, dass sie dich nicht aus den Augen lässt. Sprich also ständig ruhig auf sie ein!"
"Gut, und was soll ich dann machen?"
"Gar nichts, den Rest erledige ich", erklärte Bettina rasch und ging auch schon los.
Sie machte einen großen Bogen und steuerte dann von vorne direkt auf das arme Tier zu. Dieses stand mittlerweile völlig erschöpft nahe der Umzäunung. Es bebte am ganzen Körper und seine Atmung ging heftig und stoßweise. Die Blutung hatte zwar nachgelassen, aber der Blutverlust war bereits enorm. Es zählte also jede Sekunde!
Beide Frauen gingen nun langsam auf das Pferd zu und sprachen währenddessen irgendwelche beruhigende Worte. Sie wurden dabei von der Stute, die den Kopf leicht in Lindas Richtung gedreht hielt, genauestens beobachtet. Das verschreckte Tier überlegte sichtlich, ob und von wem wohl mehr Gefahr ausging.
Belinda hatte jetzt den Punkt erreicht, wo sie stehen bleiben sollte, hörte jedoch nicht damit auf, weiterhin auf das Pferd einzureden. Dabei sah sie ihrer Reitlehrerin zu, wie diese zwar langsam, aber zielstrebig auf den Kopf des Pferdes zusteuerte. Bei genauer Betrachtung stellte Linda verwundert fest, dass sie dabei das Tier zwar direkt ansah, allerdings seltsamerweise mit halb geschlossenen Augen.
Die Stute reagierte auf diese Art der Annäherung anscheinend wie gewünscht. Sie wurde zusehends ruhiger, und ihre Fluchtbereitschaft schwand. Ihr Kopf senkte sich leicht, und die bis jetzt verdrängte Müdigkeit, die ein so hoher Blutverlust bewirkt, schien sie zu übermannen. Ohne Widerstand oder weiteren Fluchtversuch duldete sie es, dass Bettina die auf ihrem Hals hängengebliebenen Zügel ergriff und sie festhielt.
Sogleich war der schon bereitstehende Tierarzt zur Stelle. Er besah sich in Windeseile die Wunde, um sie dann sofort fachgerecht zu versorgen.
Währenddessen strich Bettina Wegner immer wieder sanft über Stirn und Augen der Stute und flüsterte ihr beruhigend zu: "Das wird schon wieder, mein Mädchen. Nur keine Angst! Wir helfen dir, damit du bald wieder gesund wirst."
› Folge 5 | | |