22. August Liebe Nora, Deine KORALLE wird inzwischen schon sicherer an der Longe die Kreislinie des Zirkels einhalten, so dass Du allmählich immer mehr den Fixpunkt in der Mitte des Zirkels einnehmen kannst. Um diesen auch zu behalten, musst Du Dich, wenn Du Dein Pferd auf der linken Hand longierst, auf deinem linken Absatz mitdrehen, entsprechend umgekehrt. Die Oberlinie von KORALLE soll mehr und mehr der leichten Biegung des Zirkels entsprechen und sie soll mit ihren vier Beinen wie auf Schienen gehen, das heißt, dass die Hinterbeine der Spur der Vorderbeine folgen sollen und nicht etwa seitlich dieser Spur auffußen. Wenn das Pferd auf gerader Linie korrekt spurt, dann geht es �gerade gerichtet'. Wenn das Pferd auf gebogener Linie korrekt spurt, dann sagt man auch: es geht �gebogen-gerade'. Allerdings ist das Gerade-Gehen des Pferdes eine Angelegenheit, die man erst später vom Sattel aus beeinflussen kann. Aber da das Schiefgehen von Anfang an eine so negative Rolle spielt, wenn das Pferd das Gewicht des Reiters in seine Bewegung mit einbeziehen muss, möchte ich Dir diesen Begriff doch jetzt schon nahe bringen. DIE SCHIEFE Sie spielt eine negative Rolle, wenn das Pferd sich unter dem Gewicht des Reiters bewegt und ist mitbestimmend für die Gesundheit seines Rückens und seiner Beine. Eine stärkere oder schwächere Veranlagung zur Schiefe kann man bei fast jedem Pferd, jedem Hund, bei vielen anderen Tieren und ebenso bei Mensch beobachten. Wodurch diese Schiefe zur Veranlagung des Pferdes gehört, darüber sind Fachleute verschiedenster Ansicht. Da wird in erster Linie die Lage des Fohlens im Mutterleib genannt, aber auch, dass seine Schultern schmaler sind als seine Hüften und das Pferd deshalb in der Reitbahn schief zur Bande ginge, weil es sich dort sozusagen �anlehnen' will. Ich kann mit dieser Meinung nichts anfangen, weil das Pferd ja ohne Bande einer Reitbahn, ohne Begrenzung rechts oder links, die gleiche einseitige Schiefe zeigt. Sie ist etwa ähnlich zu beurteilen wie die Links- oder Rechtshändigkeit beim Menschen. Es gibt auch die Vermutung, die mir am ehesten einleuchtet, dass die Schiefe aus einer gewissen Asymmetrie des langen Pferdekörpers kommt und/oder auch aus der Ungleichheit der beiden Gehirnhälften, eine eindeutige Erklärung kann ich Dir aber nicht anbieten. Wenn Du einen Menschen fotografierst und sein Bild genau in der Mitte teilst, dann sieht er ganz anders aus wenn Du die zwei linken Hälften zusammenfügst, als wenn Du die zwei rechten Hälften zusammenfügst. Bei den meisten Menschen ist auch ein Bein etwas kürzer als das andere (ein Ärgernis, wenn man Hosen kauft!) und Du kannst bei Hunden beobachten, wie schief sie vor Dir hertraben, wie sie �schrägeln'. Das kann von rechts hinten nach links vorne sein oder auch umgekehrt. Mit dieser Veranlagung zur Schiefe wird das Pferd, werden andere Tiere und werden wir Menschen schon geboren und die Veranlagung dazu bleibt ein Leben lang bestehen. Das bedeutet, dass man nicht nur bei der Grundausbildung des Pferdes darauf achten muss, sondern dass man auf Dauer immer wieder gezwungen ist, eine gewisse Schiefe zu korrigieren. Warum soll man sie korrigieren? Das ist ganz einfach zu verstehen: wenn sich ein Pferd unter der zusätzlichen Last des Reiters bewegen muss und dabei schief geht, dann belastet es seine körperlichen Gegebenheiten ebenso einseitig und dadurch leidet die Gesundheit, vor allem die seines Rückens und seiner Beine. Außerdem können gewisse Ausbildungsziele, zum Beispiel Durchlässigkeit und Versammlung nicht erreicht werden, wenn das Pferd schief geht. Stelle Dir als Beispiel einen Strohhalm vor, den Du der Länge nach in gerader Linie über den Tisch schieben willst; wenn der einen kleinen Knick hat, also auf einer Seite etwas zusammen geschoben ist, dann wird er sich seitwärts wegdrehen, wenn Du ihn geradeaus schieben willst, denn er ist dann nicht mehr in gerade Linie nach vorne �durchlässig', die Kraft, die ihn von hinten vorschiebt, ist nur noch teilweise auf der äußeren Seite wirksam, auf der inneren Seite bleibt sie am Knick hängen. Außer der angeborenen Schiefe gibt es aber auch eine �angerittene Schiefe'. Sie kann sich entwickeln, wenn der Reiter durch falschen Einfluss seines Gewichts oder zu häufiger Stellung und Biegung seines Pferdes nach der gleichen Seite oder zu häufiges Gehen auf der �bequemeren Hand' dieses schiefe Gehen herausfordert. Du kannst Dein Pferd in seinem jetzigen Rohzustand noch nicht gerade richten, aber Du kannst auf der Koppel seine Schiefe beobachten, vor allem im Trab und Galopp, wenn entweder das rechte Hinterbein (nach links schief) oder das linke Hinterbein (nach rechts schief) außerhalb der Spur des gleichseitigen Vorderbeines auffußt. Das Geraderichten erfolgt ab einer späteren Ausbildungsphase, wenn das Pferd unter dem Reiter über den Zügel die sichere Anlehnung an dessen Hand gefunden hat und sowohl die vorwärts als auch die seitwärts treibenden Hilfen sicher annimmt. Soviel zur Schiefe, beobachte daraufhin Deine Koralle und verteile Deine beginnende Arbeit im Sattel korrekt gleichmäßig auf die rechte und die linke Hand und vor allem: sitze immer in der Balance, rutsche also nicht nach der einen oder anderen Seite, sondern bleibe immer �mittig' im Sattel sitzen. Auf gerader Linie, also im Geradeaus, müssen Deine beiden Füße auf jeder Seite mit dem gleichen Gewicht im Bügel hängen. Das musst Du von Anfang an von Dir selbst verlangen, und Dich daraufhin selbst unter Kontrolle haben, wenn Du vom Pferd verlangst, dass es gerade gerichtet geht. Jeder Reiter hat auch seine �Lieblingshand' er muss auch aufpassen, dass er sie nicht bevorzugt reitet. Selbstverständlich muss die Bügellänge auch auf beiden Seiten gleich sein. Das übliche Löcher abzählen gewährleistet das meist nicht, schon deshalb, weil nicht immer ein zusammengehörendes Riemenpaar am Sattel ist. Ich habe beim Verschnallen der Bügellänge vor dem Aufsitzen immer den unteren Steg des Bügels nach oben gekippt und dann dessen Abstand zum unteren Rand des Sattelblatts mit Fingerstärken gemessen oder auch mit kritischem Auge. Diese Art ist wohl die sicherste, um beide Bügel gleich lang zu haben. Allerdings längt sich der Bügel, in dem Du beim Aufsteigen stehst und der dabei das meiste Gewicht tragen muss, mit der Zeit. Ein gelegentliches Austauschen der beiden Bügelriemen - der linke nach rechts und der rechte nach links am Sattel - ist daher von Vorteil. Das Gehen auf geraden und gebogenen Linien an der Hand, im Schritt wie im Trab und das Bewegen auf dem Zirkel an der Longe wird schon recht sicher sein, wenn Du genug Nerv hattest, es systematisch, freundlich und ruhig, aber unerbittlich konsequent während der letzten sechs Wochen täglich zu üben. Dabei ist es wichtig, dass dieses Üben nicht in Monotonie ausartet, sondern das Programm sollte täglich etwas verändert, der Schwerpunkt immer wieder neu gesetzt werden.
|