Ausgerechnet die Tinker, die als Außenseiter in die Szene gekommen sind, haben mich auf die Spur gebracht. Vielleicht erinnern Sie sich an meine Ausführungen über die Tinker-Industrie in den USA ( Marketing auf Kosten der Zigeuner). Als erstes fielen die unglaublichen Preise ins Auge, die dort für Tinker gefordert und bezahlt werden. Nun mag man einwenden, daß diese Pferde ja aus England oder Irland importiert wurden und deshalb entsprechende Kosten angefallen sind.
Das stimmt aber nur zum Teil. Denn dieser Umstand ist den Importeuren natürlich selber schnell aufgestoßen, weshalb sie umgehend eine eigene Zucht etabliert haben. Nun ergab sich daraus gleich das nächste Problem. Denn die Kunden, die die teuren Pferde gekauft haben, wollten mit diesen natürlich weiterzüchten, und bei den unerhörten Entfernungen in den USA ist es wirklich ein nicht zu vernachlässigendes Problem, die Stute zum Hengst oder den Hengst zur Stute zu bringen.
Deshalb gibt es bei uns im Lande so viele Hengststationen - damit der Züchter nicht so weit fahren muß. Bevor das System der Landgestüte eingerichtet wurde, waren Hengsthalter oft mit ihren Hengsten unterwegs und besuchten die Stutenbesitzer. Wie das im einzelnen funktioniert hat, ist mir schleierhaft, denn es reicht ja nicht, den Hengst zur Stute zu bringen oder umgekehrt, die Stute muß auch empfängnisbereit sein. Das Timing ist also wichtig.
Der Hengst kann immer, die Stute will meistens nicht, und zwar aus gutem Grund, und kann dann ziemlich unangenehm werden. Wenn sie aber empfangen kann, dann verlangt es sie auch nach dem Hengst. Die Stute zum Hengst zu bringen, wenn es so weit ist, bietet sich also an. Früher wurden die Stuten zum Hengst geritten, dieser mußte also in entsprechender Entfernung stationiert sein. Heute werden sie gefahren, die Entfernungen können also durchaus etwas größer sein, halten sich aber immer noch in Grenzen.
Daraus ergibt sich die Gewohnheit, daß eine Stute möglicherweise ihr Leben lang vom selben Hengst gedeckt wurde, weil dieser eben in erreichbaren Nähe auf Station war, wie bei unserem Westfalen. Rein praktische Argumente waren also ausschlaggebend, züchterische Überlegungen mußten zurückstehen. Konnte unter diesen Umständen überhaupt von Zucht die Rede sein? Auf einer Station sind vielleicht nur zwei Hengste oder drei stationiert - die Auswahl ist dann denkbar klein, der züchterische Spielraum ebenfalls.
In den letzten 20 Jahren hat sich diese Praxis gründlich geändert. Mit der künstlichen Besamung entfallen alle diese Sachzwänge. Der Vorgang heißt auf englisch Artificial Insemination und wird mit AI abgekürzt; die Computerleute verstehen unter dieser Abkürzung Artificial Intelligence, wobei man das wieder mit künstliche Intelligenz übersetzt, was ziemlich unglücklich ist, weil Computer nun mal nicht intelligent sein können - aber das nur am Rande. AI ist also die Abkürzung, die in der wissenschaftlichen Diskussion die künstlichen Besamung bezeichnet.
Die künstliche Besamung stand Ende letzten Jahres schon im Mittelpunkt unserer Betrachtungen ( Reproduktionstechnik, Das Phantom, Die Ware Pferd, Pferde- und Menschenzucht, Eugenik - gute Zucht). In dieser Woche habe ich das Lehrbuch für die Ausbildung zum Besamungstechniker besprochen ( Samenübertragung beim Pferd); darin findet sich eine sehr eindrucksvolle Grafik, die den gleichzeitigen Niedergang des Natursprungs und den Aufstieg der künstlichen Besamung veranschaulicht. Zumindest in der Warmblutzucht hat sich die künstliche Besamung durchgesetzt. Der Natursprung ist aus der Mode gekommen.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Durch die rigorosen gesetzlichen Vorschriften wird sichergestellt, daß die einzelnen Schritte des Verfahrens so steril wie möglich abgewickelt werden. Jeglicher Kontakt zwischen Hengst und Stute unterbleibt. Für die Stute ist das selbstverständlich, denn diese wird ja vom Tierarzt besamt; aber auch der Hengst darf keinen Kontakt zur Animierstute haben, die immerhin noch nötig ist, damit der Gute überhaupt funktioniert.
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