|  | | Zuchthengst, Haupt- und Landgestüt Marbach |  |  |  |
| Vermutlich werden die so behandelten ehemaligen Männer ebenfalls aufatmen. Schließlich hat man es als Mann nicht leicht. In der Jugend sind die sexuellen Kräfte verwirrend und drängend. Infolgedessen und aufgrund mangelnder Erfahrung sind die Fähigkeiten, sexuelle Handlungen auch für die beteiligte Frau zu einem angenehmen Erlebnis werden zu lassen, eher gering. Die logische Folge sind Frustration auf Seiten der Frau und Versagensgefühle auf Seiten des Mannes. Beides kann nun auf unterschiedliche Art verarbeitet werden. Selten kommt es zu einer befriedigenden Lösung. Sex ist daher Quelle von vielerlei Leid. Man mag darüber streiten, welches der beiden Geschlechter mehr zu leiden hat. Im Alter ergeben sich wieder völlig andere Probleme. Die Pharmaindustrie bietet inzwischen spezifische Lösungen an, die angesichts der immensen Nachfrage offenbar dringend benötigt wurden. Inwieweit diese tatsächlich das eigentliche Problem lösen, wurde meines Wissens noch nicht untersucht. Eine wiederhergestellte körperliche Funktionsfähigkeit führt ja nun keineswegs automatisch zu einem befriedigenden Liebesleben. Zwar dürfte die Situation fatal sein, wenn eine Erektionsschwäche vorliegt und eine Erektion verlangt wird; die Beseitigung der Schwäche stellt lediglich die Grundbedingung wieder her. Junge Männer haben ja im Regelfall mit diesem Problem nicht zu kämpfen, ohne daß damit die eigentliche Problematik des Zusammenspiels der Geschlechter schon gelöst wäre. Und wenn das Verhältnis zwischen den Geschlechtern erst einmal zerrüttet war, stellt sich die Frage, ob mit Pharmaka ein wirklicher Fortschritt erzielt werden kann. Verhaltensprobleme kann man normalerweise mit Pillen nicht lösen. Also gehen wir davon aus, daß die Männer vom Fluch der sexuellen Spannungen erlöst sind und diese Erlösung auch ausgesprochen genießen. Es besteht ja nicht mehr das Problem, daß man will, aber nicht kann, man will einfach nicht mehr - so stelle ich es mir jedenfalls vor. Ein Drogenabhängiger, der seine Sucht losgeworden ist, muß sich so fühlen - befreit. Nur daß der rückfällig werden kann, was ihn unruhig machen dürfte. Das entfällt bei den Kastraten. Die können sich endlich ganz ihren Interessen widmen und bringen wahrscheinlich wesentlich mehr Verständnis für die Nöte ihrer Frauen auf - denn mit der Entmannung ist keineswegs automatisch das Schicksal eines Eigenbrötlers und Junggesellen verknüpft. Warum sollen sich nicht nach wie vor Männer und Frauen zusammentun, um gemeinsam ihr Leben zu verbringen und Kinder aufzuziehen? Pferde tun das schließlich auch mit großem Erfolg. Die Kastraten würden sich vielleicht freiwillig und leidenschaftlich um Kinder und Haushalt kümmern und damit für die Frauen eine wesentliche Entlastung darstellen. Diese wiederum würden sich viel mehr verstanden fühlen und dadurch glücklicher sein. Etwaige sexuelle Bedürfnisse könnte der Kastrat durchaus befriedigen - ob das simple Rein und Raus für Frauen wirklich den Gipfel des Glücks darstellt, ist ja bekanntlich nach wie vor umstritten. Und schließlich gibt es Vibratoren und Dildos. Wo ist also das Problem? Es kommt auf Zärtlichkeit an, und die braucht jeder Mensch. Ein sexueller Austausch zwischen den Ehepartnern ist also nach wie vor möglich und vermutlich nach dem kleinen Eingriff sogar viel befriedigender als vorher. Vor allen Dingen gehören jetzt die Timingprobleme der Vergangenheit an. Frauen unterliegen bekanntlich einem strengen rhythmischen körperlichen Diktat, der auch und nicht zuletzt ihr sexuelles Verlangen steuert. Männer hingegen sind völlig anders konstruiert. Angeblich wollen oder müssen die immer. Das muß unausweichlich zu Problemen führen. Bekanntlich werden diese Synchronisationsprobleme auf ihre eigene Art ausgelebt. Wenn durch die Kastration der Mann von seinem Fluch befreit ist und sich ganz uneigennützig auf die zärtlichen Bedürfnisse seiner Frau einstellen kann, entfällt eine ganze Menge Konfliktpotential. Freilich dürfte damit auch dem ältesten Gewerbe der Welt die Existenzgrundlage entzogen sein - aber darauf können wir keine Rücksicht nehmen, Opfer müssen für den gesellschaftlichen Fortschritt nun einmal gebracht werden. Sexualität und Reproduktion sind bei den meisten Menschen ohnehin gedanklich und praktisch getrennt. Warum sollte man also davon ausgehen, daß die Personen, die normalerweise sexuell miteinander verkehren und dies üblicherweise zu ihrem Vergnügen tun (jedenfalls entspricht das einer Wunschvorstellung), dieselbe Tätigkeit auch zur Reproduktion ausüben? Noch dazu mit zweifelhaftem Resultat! Das überlassen wir lieber den Fachleuten. Übrigens rede ich nicht der Sterilisation das Wort. Sterilisierte Männer fühlen und verhalten sich wie Männer und sind nur unfruchtbar. Das entspricht nicht unseren Absichten. Wir wollen zugleich das soziale Klima verbessern. Dazu muß eine echte Kastration vorgenommen werden. Im übrigen dürfte sich ein Kastrat nicht unbedingt wünschen, er gehöre zu den wenigen Männern, die züchterisch Verwendung finden, wenn er einmal einen Blick hinter die Kulissen geworfen hat.
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