Leserbrief › 1643 zu Ausgabe › 349 05.12.05
Reproduktion
Hallo, Herr Popken,
obwohl ich über den Bericht mehrmals grinsen musste, ist die Realität ja nicht besonders komisch. Im Bericht fiel ja schon das Wort Betroffenheit und die ist durchaus angebracht.
Es gibt beispielsweise nix Ärmeres als einen Probierhengst. Der darf an der rossigen Stute schnuppern und dann wird das arme Schwein gewaltsam vom Objekt der Begierde weggezerrt. Oder er bekommt von der Stute eins übergebraten. Und dann wundert man sich, daß Probierhengste meistens miese Laune haben. In meinen Augen sehr bedauernswerte Tiere.
Und die Zuchthengste? Die leben oft ein Leben abseits jeder Artgerechtigkeit, reduziert auf stumpfsinnige Deckmaschinen, die auf alles draufspringen, was man vor sie hinstellt. Sonst bekäme man sie wohl eher nicht aufs Phantom. Stuten kriegen die meisten nie zu sehen. Die Hengste, die noch im mehr oder weniger natürlichen Sprung decken, sind in der Minderzahl. Die Hengste, die auf der Weide im Verband mit ihren Damen leben, haben Seltenheitswert. Das dürften die wirklich glücklichen Zuchthengste sein.
Und die Stuten? Viele laufen alle drei Wochen mehr oder minder schlecht gelaunt durch die Gegend, weil sie rossig sind. Diejenigen, die künstlich befruchtet werden, kriegen keinen Hengst zu sehen. Und es gibt Stuten, die als "Animierdamen" arbeiten und das ganze Jahr mit Hormonen künstlich rossig gehalten werden. Was die ständigen Hormongaben im Körper des Tieres anrichten, mag ich mir nicht ausdenken. Mal abgesehen davon, dass diese Stuten ganzjährig miese Laune haben... Und diejenigen, die gedeckt werden, werden gefesselt, damit sie den Hengst nicht schlagen können. In meinen Augen eine glatte Vergewaltigung! Die Stuten, die mit einem Hengst im Verband leben, bestimmen hingegen, wann sie gedeckt werden und der Hengst muß sie mehrere Tage umwerben, sonst bekommt er eine gelangt. Interessanterweise sind solche Bedeckungen die erfolgreichsten. Woran könnte das wohl liegen?
Und wozu das ganze Theater? Um mehr Fohlen zu "produzieren" und das am besten ganzjährig. Da stellt es mir die Haare. Es wird sowieso schon viel zuviel gezüchtet. Und den Überschuß liefert man gleich an die Metzger. Dafür beraubt man die Elterntiere ihres normalen Lebens!
Es darf noch bemerkt werden, daß auch Wallache nicht aus Holz sind. Viele reagieren durchaus auf rossige Stuten. Meine Stute pinkelte ihrem Lieblingswallach immer vor die Füße, dann wusste der: es ist wieder soweit. Er beließ es beim Flehmen und beknabberte seine Freundin charmant von Nasenspitze bis Schweifansatz. War immer sehr niedlich zu beobachten. Kein Blatt Papier hätte zwischen die beiden Verliebten gepasst. Ein leiser Anklang davon, was ein Hengst zu tun hat, bevor es zum Decken kommt.
Besitzer von Stuten bekommen allerdings vom wallach- oder gar hengstreitenden Umfeld schon mal Bemerkungen zu hören wie: "So ein blöde Zicke hätte ich schon mal nicht gekauft." Führt sich ein Hengst unmöglich auf, ist er ein toller Kerl, fällt eine Stute auf, ist sie eine doofe Zicke. Da ballt frau schon mal die Faust in der Tasche.
Es schockiert mich auch immer wieder, daß es erfahrene Pferdeleute gibt, die nicht wissen, daß eine Stute etwa alle drei Wochen rossig ist. Aber sind ja nur Stuten, was soll man sich um die große Gedanken machen... Fällt ja schon auf, daß außer bei den Trakehnern die Fohlen nach dem Initial des Vater benannt werden. Die Stute, die immerhin auch zu 50 % am Fohlen beteiligt ist, wird als unwichtig abgetan. Daher auch die geniale Idee, Stuten mit Mängeln oder ältere Tiere zur Zucht heranzuziehen. Der Hengst soll dann alle Mängel ausgleichen, das kann er aber nicht.
Ebenso wissen viele Pferdeleute nicht, was der Hengst tut, wenn er denn mal nicht deckt. Da hält er nämlich unter anderem seine Herde zusammen. Dafür ist er da, der Chef ist er jedoch nicht. Das ist die Leitstute. Und die scheut sich nicht, ihm eine überzubraten, wenn er aus der Reihe tanzt.
Es ist schon schlimm, was man aus Tieren macht, die im Sprachgebrauch als "stolz" bezeichnet werden...
Licorno
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