Leserbrief › 909 zu Ausgabe › 211 14.04.03
Sehr geehrter Herr Sturenberg,
es ist sicher richtig, dass die Pferdeskulptur nicht den Proportionen eines "echten" Pferdes entspricht, und sie ist auch sicherlich nicht für jeden Betrachter "schön". Auch ist es fraglich, ob es der Bank um Kunst geht, um Marketing, um was auch immer. Aber muss Kunst wirklich nach Naturgetreue und "richtigen" Proportionen gemessen werden? Sollte es nicht viel mehr im Interesse und Sinn des Künstlers liegen, wie er seine Skulpturen darstellt? Vieles, was früher als geschmacklos, häßlich, und ohne jeden Anspruch galt, ist heute, nach Meinung der "Fachleute" Kunst. Wenn Sie schreiben, dass Ihnen die Skulptur nicht gefällt (sie mit Leonardo zu vergleichen, finde ich unfair, wer kommt schon daran?), ist das ok, aber daraus eine generelle Beurteilung zu machen, finde ich zumindest problematisch.
Mit freundlichen Grüßen
Petra MaschSehr geehrte Frau Masch, herzlichen Dank für Ihre Zuschrift. Es war keine Bank, es war das private Interesse des Eigentümers der Firma, die mit Automobilen zu tun hat, und ich habe die Skulptur auch nicht daran gemessen, ob die Proportionen richtig sind. Ich habe mich lediglich gefragt, ob ich dadurch einen Zugang zu dem unguten Gefühl bekomme. Im letzten Abschnitt habe ich dann gesehen, daß die Proportionsuntersuchung des Kopfes mich in die Irre geführt hat. Ich habe die Skulptur auch nicht mit der Skulptur von Leonardo verglichen, sondern den Hinweis auf Leonardo lediglich in anderem Zusammenhang eingefügt. In gewisser Weise haben Sie aber recht. Der Artikel ist recht konfus und hat dadurch Ihren Widerspruch herausgefordert. Das finde ich gut. Vielleicht sollte ich mehr Artikel schreiben, die den Widerspruch der Leser herausfordern ;-) Natürlich ist die Kunst frei und der Künstler darf tun, was ihm beliebt, sofern er nicht gegen das Gesetz verstößt. Die ganze Sache wird aber dadurch interessant, daß eine Wertung vorgenommen wird. Sie ist unvermeidlich. Ein Käufer zum Beispiel entscheidet sich für oder gegen einen Ankauf, eine Museum entscheidet sich für oder gegen eine Ausstellung, ein Galerist entscheidet sich für oder gegen eine Vertretung. Diese Entscheidung wird in der Regel durch die Erfahrung bestimmt. Ein Sammler wird anfänglich Kunstgegenstände erwerben, die er später niemals auch nur in Erwägung ziehen würde, weil sein Geschmack und Urteilsvermögen sich weiterentwickelt hat. Diesen Prozeß konnte ich Schülern immer dadurch vermitteln, daß ich an die Musikrezeption erinnerte: Musik wird sehr intensiv konsumiert und der Geschmack wandelt sich mit der Erfahrung. Jeder stimmte zu, daß er sich heute das Zeug nicht mehr anhören würde, mit dem er einmal begonnen hatte. In diesem Sinne versuchte ich darzulegen, wie das Werk auf mich wirkt; es ist vollkommen in Ordnung, wenn andere Leute davon entzückt sind. Der Sammler hat sicherlich eine Menge Geld dafür ausgegeben, und mit Recht, wenn er daran seine Freude gehabt hat. So kommen übrigens Kunstwerke unter Umständen wieder in den Handel: Der Besitzer hat sich daran satt gesehen und braucht das Werk nicht mehr. Siehe dazu auch den Galeriebeitrag über Captain Samuel Sharpe (› › › Qualität› : "...warum notgedrungen der Begriff Qualität ins Spiel kommt...") und die Nebenbetrachtung dazu (› › › Qualität in der Kunst), insbesondere den Abschnitt über Herta König (› › › Das Leben: "...ihre Beziehung zu dem Bild hatte sich verändert, sie brauchte es nicht mehr..."). Mit freundlichen Grüßen Werner Stürenburg
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