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Editorial zu Ausgabe 377

 
W. Popken im Fenster
Selbstportrait 08/2004
 
 
18.06.2006

Katz und Hund

Der Mensch der Frühzeit, so stellen wir uns das vor, kam eines Tages auf den Hund und das Pferd und die Kuh, und diese veränderten sich dabei. Hunde, wie wir sie kennen, gibt es ausschließlich als Begleiter des Menschen, nicht in der freien Natur (es sei denn, sie seien entlaufen). Dasselbe trifft auf die Katzen zu, auf die Kühe und die Pferde.

Der frühe Mensch war sicher nicht sentimental. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit mußten viele Hunde arbeiten, Katzen sowieso. Katzen waren dazu da, die Mäuse in Schach zu halten, und dazu mußten die Katzen natürlich hungrig sein. Hunde hatten vielerlei Aufgaben, und sind für diese verschiedenen Aufgaben gezielt gezüchtet worden, so daß sich die gewünschten Eigenschaften genetisch verankert haben.

Deshalb kann es für einen Hund sehr quälend sein, wenn er seinen Trieb nicht ausleben kann. Ein Hütehund muß unbedingt etwas zu hüten haben, sonst ist er nicht glücklich. Ein Bringehund schmeißt uns die Knüppel auffordernd vor die Füße, damit wir sie wegwerfen und er sie anschließend bringen kann.



Pferdenot

Ein Hütehund leidet, wenn er keine Herde hat, die er bewachen kann. Im Notfall sucht er sich eine Gruppe, die er behüten kann, seine Kleinfamilie vielleicht, und leidet unmäßig, wenn die Familienmitglieder sich auf ihre Zimmer vereinzeln. Erst wenn alle im Wohnzimmer versammelt sind, geht es ihm wieder gut.

In diesem Sinne brauchen die Pferde uns nicht. Zwar sind auch sie für unterschiedliche Zwecke gezüchtet worden, aber wenn wir sie in Ruhe lassen und sie sich ihren Bedürfnissen gemäß selbst beschäftigen können, sind sie es durchaus zufrieden. Selbstverständlich leiden sie und werden unter Umständen sogar krank, wenn man ihre elementaren Bedürfnisse mißachtet, etwa die nach Geborgenheit in der Herde, reichlich Bewegung, permanenter Futteraufnahme, frischer Luft. Ein Kaltblüter, der zum Ziehen schwerer Lasten gezüchtet wurde, entbehrt aber nichts, wenn er nicht jeden Tag ziehen muß. Ein Vollblüter, der über bestimmte Strecken sehr schnell laufen kann, nimmt es nicht krumm, wenn man ihn aus dem Training nimmt. Ein Springtalent muß nicht springen, um ein erfülltes Pferdeleben zu führen. Usw., Sie verstehen, was ich meine.



Existenzberechtigung

Fred Rai hat sich verschiedentlich gewundert, warum alle Tiere dieser Welt ausschließlich mit Belohnungen dressiert werden, nur die Pferde nicht. Die Pferde werden bestraft. Dabei haben es die Pferde doch schwer, herauszufinden, was wir eigentlich von ihnen wollen. Und wenn sie das nicht gleich herausbekommen, kriegen sie Druck. Ist das nicht widersinnig?

Sie müssen tun, was wir wollen, und wenn sie das nicht mehr leisten können, haben sie keine Existenzberechtigung mehr. Wir behandeln die Pferde also gewissermaßen wie Schweine oder Kühe, die anders als Hunde oder Katzen auch keine natürliche Existenzberechtigung haben, sondern nur zu einem bestimmten Zweck gehalten werden. Hunde und Katzen sind aus dieser Not längst herausgewachsen. Katzen müssen keine Mäuse mehr fangen, sie werden gefüttert und der Mensch freut sich, wenn ihnen die Leckerei aus dem Supermarkt schmeckt.

Bei den Hunden könnte man ja noch argumentieren, daß diese ihre Existenz ständig durch die unbändige Freude bezahlen, die sie ihrem Besitzer laufend zu Füßen legen. Dieser muß nichts dafür tun - es reicht, daß er wiederkommt, und der Hund gerät außer sich vor Freude, was den Besitzer natürlich ungemein rührt. Eine Katze tut das aber nicht. Im Gegenteil, es kann passieren, daß die Katze ihre Gunst einem Besuch schenkt und den Besitzer schnöde links liegenläßt. Katzen dürfen das. Katzen erfreuen den Besitzer dadurch, daß dieser sie streicheln darf, wenn es ihnen paßt.

Pferde müssen tun, was wir wollen, wann wir es wollen, und wie wir es wollen. Die Dressur treibt es auf die Spitze, aber für alle anderen Verwendungszwecke gilt das Prinzip gleichermaßen. Das ist möglich, weil Pferde Herdenwesen sind und uns gerne dienen, wenn wir ihnen Schutz und Sicherheit geben, also ranghöher sind. Das freilich ist Bedingung, und wer die nicht erfüllen kann, hat keine Freunde mit seinem Pferd, und spätestens dann kriegt es Druck, und da das im Grunde nicht hilft, verliert das Pferd die Existenzberechtigung.



Wohlstand

Hunde und Katzen müssen ihre Existenz nicht mehr verdienen, weil wir es uns leisten können, sie ohne Gegenleistung zu unterhalten. Ihre reine Gegenwart ist Lohn genug für all die Mühe, die wir auf uns nehmen, um die Gesellschaft eine Katze oder eines Hundes zu genießen. In diesem Sinne sind wir zwar reich genug, um uns Pferde zum Vergnügen halten zu können, aber nicht reich genug, um dafür keine Gegenleistung zu verlangen.

Und selbst wenn sich jemand ein Pferd leistet, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, muß man annehmen, daß irgend etwas nicht stimmt. Wer nur mit seinem Pferd spazierengeht, sich nur an seiner Existenz erfreut, der hat ein Problem. Man nimmt an, daß er Angst vor seinem Pferd hat, daß er nicht reiten kann, daß aus unerfindlichen Gründen die ursprüngliche Leistung, die erwartet wurde, nicht erbracht werden kann und auch nicht mehr erbracht werden soll. Es wird aber stillschweigend vorausgesetzt, daß dies ursprünglich die Absicht war. Niemand schafft sich ein Pferd an, nur weil es so nett aussieht.

Mag sein, daß sich das noch ändern wird, mit zunehmendem Wohlstand. Bereits jetzt gibt es viele Leute, die Freude an ganz kleinen Pferden haben, mit denen sie unmöglich reiten können. Allenfalls können diese eine Kutsche ziehen, aber vermutlich hat man sie nicht deshalb angeschafft. Da sie nun schon einmal da sind und man auch gerne etwas mit ihnen machen möchte, schafft man eine Kutsche an - so herum wird ein Schuh draus. Wenn man schon einen Bringehund hat, schafft man sich Spielzeug an, das man leichter wegwerfen kann als irgendwelche dreckigen Knüppel, um bei diesem Vergleich zu bleiben.



Gefährdung

So gesehen engagieren sich manche Pferdeliebhaber für eine bestimmte Rasse, um diese zu erhalten, Kaltblüter zum Beispiel oder schwere Wagenpferde. Man braucht diese nicht mehr, aber man möchte ungerne erleben, daß sie aussterben. Und wenn man es sich leisten kann, engagiert man sich und kauft ein oder zwei dieser einzigartigen Tiere, die keine Existenzberechtigung mehr haben. Aber das ist noch nicht konsequent genug; man muß züchten, damit es weitergeht. Und so hat man dann bald mehr davon.

Wer züchtet, muß absetzen, und wer absetzen will, braucht Kunden, die etwas mit den Tieren anfangen wollen. Wenn man keine Liebhaber findet, muß man einen Nutzen finden, damit die Pferde eine Existenzberechtigung haben, einen Marktwert, damit sie einen Platz in der Welt finden. Aber vielleicht gibt es demnächst größere Gruppen von Liebhabern, die sich die Haltung von Pferden einfach so leisten können, genauso wie es Katzen- und Hundeliebhaber für die ausgefallensten Zuchtrichtungen gibt. Vor 50 Jahren hätte man sich die Entwicklung, die wir erlebt haben, nicht vorstellen können. Wie wird es wohl in 50 Jahren aussehen?

 
Chefredakteur und Herausgeber
 
 




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