In den früheren zwanziger Jahren im wilden Berlin outete Renée Sintenis sich als » exzentrische Lesbierin, nachdem sich eine Ehe als Fehler herausgestellt hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie Professorin an der Berliner Akademie der Künste und fertigte den Goldenen Bären, der jedes Jahr als Filmpreis in Berlin verliehen wird. Bei Auktionen erzielen ihre Werke beachtliche Preise.
Die Skulptur von Werner Gürtner steht den Fohlen von Renée Sintenis in keiner Weise nach, und diese Einschätzung wird erleichtert durch die Bearbeitungen.
Denn die lenken den Blick immer wieder auf andere Einzelheiten des Werkes, und dieses hält gelassen stand, zeigt seine Kraft und Unabhängigkeit, seine Stimmigkeit, seine Ausstrahlung.
Das Fohlen wirkt jung und reif zugleich. Es eignet sich also für ernsthafte Aussagen. Wer macht sich schon Gedanken über Kälber, wenn er Kalbfleisch isst?
Das Fohlen als Musterzeichnung für die Fleischverwertung wirkt untergründig und nachhaltig, die Unschuld des jungen Lebens, die natürliche Schönheit und Unbefangenheit des Tierkindes, die Anmut des Pferdes setzt sich gegenüber der politischen Aussage durch und macht sie dadurch erst recht wirksam:
Wir Menschen essen Tieren, wir züchten sie, um sie anschließend zu töten, sie sind für uns Sachen, die als Wirtschaftsgüter ihre Berechtigung haben, nicht als Lebewesen, als Schöpfung wie wir.
Das Fohlen als Skulptur zeigt uns, daß diese Sichtweise schief ist, daß ein Fohlen genauso Seele hat wie ein Mensch, daß es die Welt erstaunt und forsch betrachtet wie ein Menschenkind, daß es dasselbe Lebensrecht beansprucht.
Diese Aussage wird provoziert und herausgearbeitet durch die Nutzung als Schablone, die ohne Worte auskommt, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne eifernde Entrüstung. Die Bemalung ordnet sich der Skulptur unter und stellt sie unter ein anderes Vorzeichen, arbeitet eine weitere Bedeutungsschicht heraus.
Als Superman wirkt das Fohlen grimmig und entschlossen, ganz der rechtschaffene Held, der eindeutig positiv ist, gekommen, um die Welt zu retten und vom Bösen zu befreien.
Gleichzeitig gelingt es, die Lächerlichkeit einer solchen Figur herauszuarbeiten, die von der natürlichen Dualität dieser Welt keine Kenntnis nehmen will, die die Berechtigung des Bösen nicht anerkennt, die undankbare Rolle der negativen Figur, und die vor allen Dingen nicht sehen will, daß sie selbst Anteil an diesem Dualismus hat, daß sie auch dunkle Seiten besitzt.
Das Fohlen eignet sich offensichtlich als Projektionsfigur für alle möglichen Deutungen - es ist wirklich verblüffend, welche Bedeutungen diese Figur tragen kann, und das mit minimalen Mitteln. Opfer und Held sind nur zwei von vielen Antipoden, der diese Figur Leben einhauchen kann.
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