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Bericht Zu den Themen DKThR, Therapeutisches Reiten · Gesamttext
Inhaltsverzeichnis Ausgabe 485.08 der Pferdezeitung vom 13.07.08
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Florian Kaplirz zu Sulewicz: Ausreiten · © 2008
 
» Florian Kaplirz zu Sulewicz: Ausreiten
Florian Kaplirz zu Sulewicz: Hallenarbeit · © 2008
 
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Florian Kaplirz zu Sulewicz: Turnier · © 2008
 
» Florian Kaplirz zu Sulewicz: Turnier

    Heilung und Linderung   
    Fallgeschichten und Randbedingungen des Pferdeeinsatzes im Gesundheitswesen   
von   Werner Popken

Teil 1:  Tu Gutes und rede darüber
Teil 2:  Wo und wie kann ich Gutes tun?
Teil 3:  Spenden sind Glücksbringer


Zu den Themen DKThR, Therapeutisches Reiten


Sind Sie behindert? Nein? Wie schön! Sie können sich frei bewegen, nach Herzenslust mit Ihrem Pferd kommunizieren, Umgang, Reiten, Springen, Voltigieren oder Fahren genießen und sind in Ihren Ambitionen höchstens durch die Möglichkeiten Ihres Pferdes und Ihre eigenen beschränkt.

Anders sieht es aus, wenn Sie aus irgendwelchen Gründen als behindert eingestuft werden. Dann kann das Pferd für Sie noch ganz andere Bedeutungen gewinnen, nämlich zusätzlich zur sportlichen eine medizinische, für die Rehabilitation, oder eine pädagogische, für die Erziehung. Was gesunden Menschen guttut, hat nämlich ebenso seine positiven Wirkungen für Menschen, die krank oder eingeschränkt sind (siehe auch Ausgabe 73:  Mittler zwischen Welten).

Oder es betrifft nicht Sie persönlich, aber Sie haben Kinder oder Partner, die aus irgendwelchen Gründen Probleme bereiten; dabei kann es sich um angeborene Fehler handeln, etwa Gendefekte oder sonstige Fehlbildungen, oder um erworbene Mängel, zum Beispiel durch Probleme bei der Geburt oder im Laufe der normalen Entwicklung. Und dann gibt es noch einen dritten Zugang zu diesem Problemkreis: den Unfall. Und einen vierten: die Erkrankung.

Landläufig will man sich als Nichtbehinderter mit solchen Perspektiven nicht auseinandersetzen. Behinderung - ich doch nicht! Habe ich nichts mit zu tun! Dabei lauert doch der Unfall an jeder Ecke! Man kann sich bekanntlich schon beim Sprung aus dem Bett das Genick brechen. Bis man hochbetagt und klapprig, aber zufrieden und lebenssatt das Zeitliche segnen kann, gibt es unzählige Gelegenheiten, durch einen Unfall von der einen Seite auf die andere zu gelangen.

Das betrifft insbesondere Sportler und unter diesen wieder in besonderem Maße Reitsportler, denn ein Sturz vom Pferd ist nicht zu verachten, aber gewissermaßen unvermeidlich - wie konnte ich beispielsweise im Alter von 50 Jahren einen Salto aus vollem Galopp in freiem Gelände unbeschadet überstehen? - und auch sonst haben Pferde allerhand Möglichkeiten, das körperliche Wohlbefinden des Reiters zu beeinträchtigen.

Nun darf man sich durch bloße Möglichkeiten nicht bange machen lassen, denn das Risiko gehört zum Leben; wer kein Risiko eingeht, kann sich gleich begraben lassen, wäre so gut wie tot. So riskieren wir also ständig alles mögliche und insbesondere beim Umgang mit unseren Pferden unsere Gesundheit - im Extremfall finden wir den Tod oder erleiden schwere Verletzungen, in deren Folge eine Behinderung zurückbleiben kann, und wenn wir Glück haben, bleibt es bei leichten Schrammen und Beulen, die bald vergessen sind.

Rein statistisch ist der Pferdesport anscheinend nicht die gefährlichste aller Sportarten - obwohl man eine solche Aussage eigentlich gar nicht treffen kann, denn dazu müßte man eine eindeutige Definition haben. Zählt man nun die Vorfälle oder die Schwere der Vorfälle oder die Anzahl der Vorfälle pro Übung? Zahlenmäßig überwiegen beispielsweise die Verletzungen beim Fußball und der Gymnastik, was aber einfach daran liegt, daß erstens wesentlich mehr Leute Fußball spielen und zweitens jeder Sport irgendeine Art von Gymnastik voraussetzt, und wenn es nur Lockerungsübungen sind, mithin also eine Verletzung der Gymnastik zugeschoben wird und nicht der Sportart, für die die Gymnastik vorbereitet.

Immerhin sind Verletzungen beim Reitsport unter weiblicher Personen mit Abstand die häufigsten, nämlich 17% vor 11% beim Fußball. Bei den Männern sieht es anders aus, die machen bekanntlich um Pferde üblicherweise einen größeren Bogen ( » Sportunfälle � Häufigkeit, Kosten, Prävention, » Sportunfälle in Deutschland). Über die Schwere der Verletzungen wird in beiden Untersuchungen nichts gesagt. Trotzdem: Kann man sich vorstellen, daß jemand als Folge einer Verletzung beim Fußball schwerbehindert ist? Kommt vielleicht auch vor, ist aber mit Sicherheit extrem selten und ganz untypisch. Beim Pferdesport ist das leider anders. Die Gefahren für Leib und Leben sind ganz real.




Hannelore Brenner


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Athen 2004 (Hannelore Brenner rechts vorn) · © 2008
 
� Athen 2004 (Hannelore Brenner rechts vorn)
Hannelore Brenner mit Fabiola (Athen 2004) · © 2008
 
� Hannelore Brenner mit Fabiola (Athen 2004)
Fabiola: 3x Deutscher Meister, Doppel-Europameister, Doppelter Vize-Weltmeister · © 2008
 
� Fabiola: 3x Deutscher Meister, Doppel-Europameister, Doppelter Vize-Weltmeister
Women of the World: Vize-Weltmeister 2007 · © 2008
 
� Women of the World: Vize-Weltmeister 2007
Das Glück auf dem Rücken der Pferde · © 2008
 
� Das Gl�ck auf dem R�cken der Pferde
Beim Pferdesport ereignen sich immer wieder dramatische Todesf�lle, und zwar sowohl beim vereinsm��ig betriebenen Sport als auch im privaten Bereich - auf aktuelle Beispiele will ich jetzt nicht hinweisen. Aber nicht nur St�rze k�nnen zu schwerwiegenden Verletzungen f�hren:

Rund 20 % aller Unf�lle im Zusammenhang mit Pferden passieren allerdings nicht beim Reiten, sondern beim Hantieren mit Pferden oder in deren unmittelbarer Umgebung. Vor allem Kinder sind aufgrund ihrer Gr��e besonders gef�hrdet, Kopfverletzungen zu erleiden. Eine australische Studie (Horse Related Injuries, Juni 1995) hat ermittelt, da� Kindern unter 15 Jahren h�ufiger schwer am Kopf verletzt werden als Erwachsene (31 % vs. 22 %). Manche Experten finden es daher durchaus angebracht, Kindern, die mit Pferden hantieren, einen Helm zu verpassen � auch wenn sie gerade nicht reiten. 'Die Masse der Kopfverletzungen, auch der t�dlichen Kopfverletzungen, passiert nicht beim Reiten, sondern Kindern in der Stallgasse. Der Reitanlagenbetreiber oder wer auch immer die Verantwortung tr�gt, m��te darauf hinweisen: Beim Putzen ist der Helm aufzusetzen. Da passieren Unf�lle, die vermeidbar w�ren.' (Suitbert Dohmen, Helm-Experte, Repr�sentanz der LAS-Helme in Deutschland)

� Lebensretter Reithelm

Auff�llig ist auf jeden Fall, da� eine ganze Reihe von Menschen, die als Behinderte Pferdesport betreiben, zun�chst gesund waren, als Sportler einen Unfall mit dem Pferd erlitten und seither behindert sind, wie etwa � Hannelore Brenner:

Ich bin 1963 geboren und nach einem Reitunfall im Jahre 1986 inkomplett querschnittgel�hmt. Ich bin verheiratet und habe rundum das Gef�hl, wirklich vollst�ndig als Behinderte in unserer Gesellschaft integriert zu sein. Daf�r spricht auch mein mir sehr wichtiger Freundeskreis, der sowohl aus Behinderten als auch aus Nichtbehinderten besteht. Ich bin der �berzeugung, dass Integration bei den Betroffenen selbst beginnt. Nur so k�nnen die Nichtbehinderten die Hemmschwelle verlieren.

� Wer bin ich

Hier spricht Hannelore Brenner also gleich das wichtige Thema Integration an. Das Wort "Reitunfall" klingt so unbestimmt; was f�r ein Reitunfall? K�nnte das jedem passieren, der mit Pferden umgeht? Bei meinem Interview vor den � Sommer-Paralympics 2000 in Sydney hat sie auf ihre damalige Homepage verwiesen (der Link ist inzwischen nicht mehr g�ltig, die Fachleute von der Telekom kriegen es offenbar nicht hin, auf die neue Syntax umzuleiten - ich kann mir den Seitenhieb auf die Kollegen nicht verkneifen); ich zitiere mich also selbst:

Sie berichtet sehr lebendig von ihrem Unfall 1986 w�hrend eines gro�en Vielseitigkeitsturniers in Luhm�hlen, als nach einem fl�ssigen Ritt vor einem Tiefsprung ihr Pferd geblendet wurde, z�gerte, sie trieb, das Pferd sprang, blieb mit den Vorderbeinen h�ngen und begrub sie unter sich. Da war sie 22.

Der letzte Lendenwirbel war zertr�mmert, nach f�nf Monaten im Krankenhaus hie� es: sie wird nie wieder gehen k�nnen. Aber schon dort lernte sie, da� das Leben weitergeht, und sie war fest entschlossen, etwas daraus zu machen. Sie trennte sich von ihrem Freund, gab ihren Beruf als Augenoptikerin auf, verlie� ihre Heimat L�neburger Heide und begann ein Studium in Heidelberg.

Dort lernte sie neue Freunde kennen, Behinderte und Nichtbehinderte, schlie�lich auch den Mann, den sie geheiratet hat und mit dem sie eine gl�ckliche Ehe f�hrt - das h�rt man nicht allzu h�ufig. [...]

F�r mich ist das Reiten eine der wenigen Sportarten, wo "Nichtbehinderte" die Leistungen der "Behinderten" wirklich beurteilen k�nnen, weil das Reiten f�r alle ein sehr schwer zu erlernender Sport ist. Es ist egal, ob ein Schenkel treibt oder der Schenkel durch eine Gerte ersetzt werden mu�. Es kommt nur darauf an, da� das Pferd das Kommando auch versteht und umsetzt. Man kann die F�higkeiten des Reiters daran erkennen, wie das Pferd geht. Ob der Reiter Einschr�nkungen hat oder nicht. Ich glaube, da� durch diese Sportart die Integration zwischen Nichtbehinderten und Behinderten ein ganzes St�ckchen voran kommen kann und m�chte gern hierzu beitragen.

 Hannelore Brenner,  Die Regeln

F�r sie als ehemalige Nichtbehinderte ist es nat�rlich besonders wichtig, sich wieder vollst�ndig in das normale Leben integriert zu wissen. Wer selber Kontakt mit Behinderten hat, wei�, da� diese es gar nicht sch�tzen, wenn man sie als etwas Besonderes behandelt und um ihre Behinderung viel Aufhebens macht.

Vielleicht kann man einen Vergleich zur Situation kleiner Kinder ziehen. Diese brauchen in vielf�ltiger Hinsicht die Hilfe der Erwachsenen - trotzdem nehmen sie es �bel, wenn man sie nicht ernstnimmt. Sie sind zwar klein und manchmal hilflos, f�hlen sich aber dennoch als vollwertige Menschen.

Umso mehr mu� dies f�r erwachsene Behinderte gelten. Ganz generell erleben wir Menschen uns ja als eine Person, die durchaus vom K�rper unterschieden ist. Wenn unser K�rper aus irgendwelchen Gr�nden nicht so will oder kann, wie wir das gerne m�chten, k�nnen wir uns sogar �ber ihn �rgern - unsere Person ist vom K�rper v�llig unabh�ngig.

Wenn die Behinderung pl�tzlich eintritt, wie es typischerweise durch einen Unfall geschieht, liegt es vollends auf der Hand, da� die Person sich gar nicht ge�ndert hat, nur der K�rper. Hannelore Brenner signalisiert mit jedem ihrer Worte, da� sie sich durch den Unfall nicht ver�ndert hat, h�chstens zum Besseren, insofern n�mlich, als ihr Leben dadurch eine Intensit�t und Qualit�t bekommen hat, die m�glicherweise durch ein "normales" Leben f�r sie gar nicht zu erreichen gewesen w�re. "Meine Behinderung gebe ich nicht mehr her - ich m�chte mein heutiges Leben nicht mit dem vor meinem Unfall tauschen." (� der reha treff Ausgabe 2 2007) Ein solches Bekenntnis d�rfte Nichtbehinderte durchaus �berraschen.



Therapie


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DKThR-Rose:<br>Sport, Medizin, Pädagogik, Psychologie · © 2008
 
» DKThR-Rose:
Sport, Medizin, Pädagogik, Psychologie
Die Entwicklung einer Behinderung ist das anders kann entsetzlich tragisch, wenn der Körper nach und nach versagt, der Geist aber hellwach ist. Das berühmteste Beispiel für diesen Zustand ist der geniale Physiker » Stephen Hawking, der vermutlich an » amyotropher Lateralsklerose (ALS) leidet. Die Ursache dieser Krankheit ist unbekannt; allein in Deutschland sollen sage und schreibe 6000 Menschen daran erkrankt sein.

Der Maler » Jörg Immendorff, am 28. Mai 2007 gestorben, war daran erkrankt, der "Große Vorsitzende" » Mao Zedong soll daran erkrankt gewesen sein, und viele weitere mehr oder weniger Prominente. In den USA heißt diese Krankheit Lou Gehrig-Krankheit, weil der extrem erfolgreiche und entsprechend berühmte » Baseball-Spieler » Lou Gehrig auf dem Höhepunkt seiner Karriere daran erkrankte und kurze Zeit später auch daran starb.

ALS ist also ein weiterer Weg, sich mehr oder weniger schnell auf der anderen Seite wiederzufinden - und dies ist nur eine Krankheit von vielen, die einem gesunden Menschen in den Rollstuhl bringen können. Nichtbehinderte sollten sich also nicht allzu viel auf ihren Zustand einbilden - erstens kann dieser sich schnell ändern und zweitens wissen wir ohnehin nicht, wie sich unsere Mitmenschen, behindert oder nicht, fühlen. Zwar schließen wir gern von uns auf andere, aber das ist eigentlich unzulässig.

Man merkt das spätestens, wenn sich jemand umbringt, den man gut gekannt hat, aber nicht so gut, daß man so etwas für möglich gehalten hätte. Da geht einem auf, daß man ihn eigentlich überhaupt nicht kannte, daß man nicht wußte, wie er sich fühlte, insbesondere nicht, daß er so verzweifelt war und keinen anderen Ausweg wußte. Was weiß man schon über seinen Nächsten?

Das gilt auch für Kinder und geistig oder körperlich Behinderte. Wie fühlen die sich? Es gibt Menschen, die sich sehr weit in ihre Kindheit zurückerinnern können und berichten, daß sie ärgerlich darüber waren, sich nicht so gut ausdrücken zu können, wie sie es gerne getan hätten, und insbesondere wütend darüber, daß die Erwachsenen sie nicht ernstnahmen und nicht im Traum vermutet hätten, daß das Kind differenzierter hätte fühlen und denken können, als sie beobachten konnten.

Was wäre, wenn dieser Sachverhalt auch auf körperlich und geistig Behinderte zutrifft, die sich nicht gut ausdrücken können? Wenn auch in diesen Menschen eine Person wohnt, die uns ähnlich ist, ohne daß wir das erkennen können? Erleidet jemand zum Beispiel einen Schlaganfall und kann infolgedessen nicht mehr sprechen, achten wir diese Person trotzdem und werden uns hüten, in ihrer Gegenwart etwas zu sagen, das nicht für ihre Ohren bestimmt wäre. Es gibt Berichte darüber, daß Menschen in Narkose mit vollem Bewußtsein mitbekommen, was in ihrer Gegenwart besprochen wird. Es sind sogar angebliche Todesfälle bekannt, wo die betreffende Person doch wieder zum Leben erweckt wurde und genau wußte, was in der Zwischenzeit passiert ist und was gesprochen wurde.

Es besteht also gar kein Anlaß, jemanden weniger ernstzunehmen oder zu achten, nur weil er nicht im Vollbesitz seiner körperlichen oder geistigen Fähigkeiten ist und sich nicht äußern und mitteilen kann. Ein Grund mehr, alles zu unternehmen, um diesen Menschen das Schicksal auf jeder erdenklichen Art und Weise zu erleichtern. Wie würde man es finden, wenn all diesen Menschen, denen es aus diesen oder jenen Gründen schlecht geht, durch Pferdearbeit geholfen werden könnte? Müßte man diese Gelegenheit nicht sofort beim Schopf ergreifen?

Hannelore Brenner ist "nur" körperlich behindert, sie kann sich ausgezeichnet ausdrücken und hat ihr Leben voll im Griff. Ihr Motto lautet: "Behindert ist nur der, der sich selbst behindert." Obwohl ihre Behinderung dem Pferdesport zuzuschreiben ist, betreibt sie Pferdesport, sogar Leistungssport, speziell Behindertenreiten, also Dressur.

Daneben gibt es im Bereich des Leistungssports für Behinderte noch das Fahren, über das die Pferdezeitung mehrfach berichtet hat, und das Voltigieren. Für den Sport und Leistungssport für Behinderte ist das » Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (DKThR) zuständig (» Sport und Freizeit für Menschen mit Behinderung mit dem Pferd).

Die anderen Bereiche dieses Vereins beschäftigen sich mit dem Einsatz des Pferdes in der Medizin (» Hippotherapie, » Ergotherapeutische Behandlung mit dem Pferd) und in der Pädagogik (» Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd) sowie mit der Ausbildung von Experten für die entsprechenden Tätigkeiten (» Weiterbildung: » Physiotherapeuten, » Pädagogen & Psychologen, » Ausbilder im Reiten als Sport für Behinderte, » Ergotherapeuten � Lizenz in der Ergotherapeutischen Behandlung mit dem Pferd).

In all diesen Bereichen ist in Deutschland, genauer gesagt: Westdeutschland Pionierarbeit geleistet worden. Natürlich ist auch schon in früheren Jahrhunderten aufgefallen, daß der Umgang mit dem Pferd angenehm ist und heilsam sein kann. Die eigentliche Geschichte der therapeutischen Arbeit mit dem Pferd beginnt aber erst vor etwas mehr als 50 Jahren:

Nach dem 2. Weltkrieg begann ein Chefarzt in Bad Malente-Gremsmühlen mit Rehabilitationsmaßnahmen bei einseitig beinamputierten Patienten, deren gestörtes Gleichgewicht mit Hilfe des Pferdes wieder aufgebaut wurde. 1953 prägte der Arzt Max Reichenbach im oberfränkischen Birkenreuth den Begriff "Reiten als Therapie". Das gleichnamige Buch, das er mit Prof. Dr. H. Bünte und Prof. Dr. H. Beck herausgab, erschien 1973.

» Historie

So lange hat es gedauert, bis die Sache in Gang kam. Drei Jahre vorher, 1970, wurde das DKThR als Verein unter dem Namen "Kuratorium für Therapeutisches Reiten" gegründet - die Umbenennung durch den Zusatz "Deutsches" wurde 1992 vorgenommen, nachdem diese Ideen im Ausland vielfältig aufgegriffen worden waren und diese Differenzierung angebracht schien.



DKThR


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Bianca Vogel, Contergan-Schädigung.<br>Zäumung entwickelt von Gottfried von Dietze · © 2008
 
» Bianca Vogel, Contergan-Schädigung.
Zäumung entwickelt von Gottfried von Dietze
Dr. Angelika Trabert: Sattel für Beinlose, entwickelt unter Mitarbeit von Gottfried von Dietze · © 2008
 
» Dr. Angelika Trabert: Sattel für Beinlose, entwickelt unter Mitarbeit von Gottfried von Dietze
Gertenhalter für drei verkürzte Finger ohne Mittelgelenke; links ohne, rechts mit Gerte · © 2008
 
» Gertenhalter für drei verkürzte Finger ohne Mittelgelenke; links ohne, rechts mit Gerte
Nominierung für Hong Kong · © 2008
 
» Nominierung für Hong Kong
Bekanntlich braucht man für einen Verein mindestens sieben Gründungsmitglieder, die Sache mußte also schon auf mehreren Schultern ruhen. Im Jahr der Gründung gab es bereits 43 Einrichtungen, die therapeutisch mit dem Pferd arbeiteten; man konnte also schon von einer ziemlich breiten Basis ausgehen.

Gründungsvorsitzender war » Gottfried von Dietze, selbst durch den Krieg verletzt und behindert. Sein Studium nahm er als Rollstuhlfahrer auf. Als ehemalige Kavallerist wollte er auch gegen ärztlichen Rat wieder aufs Pferd, lernte durch die Arbeit mit dem Pferd wieder gehen, wurde Pfarrer und war für neun Dörfer und vier Kirchen zuständig.

Jahrelang diente ihm hier das Pferd noch als Transportmittel im Alltag, später arbeitete er in seiner Freizeit weiter mit Pferden. Er trainierte zahlreiche Reitlehrer, Therapeuten und Pferde und entwickelte Sättel und Zäume für alle erdenklichen Fälle, zum Beispiel für Amputierte.

» Als Pfarrer mit dem Pferde unterwegs

Von ihm stammt der Satz: "Auf dem Pferd hat jeder Mensch vier gesunde Beine." Das gilt insbesondere für » Angelika Trabert, die aus unbekannter Ursache ohne Beine und mit einer verkümmerten rechten Hand geboren wurde; ihr Motto ist: "It's ability not disability that counts!", also etwa "Es ist die Fähigkeit, nicht die Behinderung, die zählt!"

Eine herausragende Rolle in ihrem Leben spielen natürlich die Pferde; an ihrer Geschichte läßt sich auch die Geschichte des DKThR und der besonderen Schwierigkeiten, denen sich alle Beteiligten ausgesetzt sahen, nachvollziehen:

Mit sechs Jahren saß ich zum 1. Mal auf einem Pferd (Pony). Da mein Interesse an Pferden weiterhin bestehen blieb bemühten sich meine Eltern um eine Möglichkeit das Reiten zu erlernen, was sich damals als sehr schwierig herausstellte. So begann ich mittels der Hippotherapie (Krankengymnastik auf dem Pferd), hatte dann erstmals Kontakt zum Deutschen Kuratorium für therapeutisches Reiten (Dachverband für alle 3 Bereiche des therapeutischen Reitens: Hippotherapie, Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren und Reiten als Sport für Behinderte). Es folgte ein unregelmäßiges Reiten bei den unterschiedlichsten Reitlehrern und Reitlehrerinnen auf den verschiedensten Pferden.

1985 war ich erstmalig bei einer Familie (Price) in den USA für 5 Wochen, sie haben eine Tochter namens Michelle, die durch Knochenkrebs mit acht Jahren ihr rechtes Bein verloren hat. Sie bat mich auf ihrem sensiblen Pferd namens "Prince" ohne Prothesen zu reiten (wie sie es selbst auch tat). Dies war eine ganz neue Erfahrung, ohne größere Schmerzen war nun das korrekte Reiten möglich.

Zu Hause setzte ich das Reiten im Westernsattel fort der mir ohne Prothesen wesentlich mehr Halt gab, bis ich 1989 mit Hilfe von Pfr. von Dietze den ersten Spezialsattel bekam.Jetzt begann für mich das Dressurreiten, so erwarb ich 1990 das Reiterabzeichen der Klasse IV und der Klasse III, es folgte der Reitwart (Trainer C) und Ausbilder im Reiten als Sport für Behinderte; 1999 dann (auf dem eigenen Pferd) das Reiterabzeichen der Klasse II, 2001 legte ich die Prüfung zum Trainer A (Amateurreitlehrer) im Landgestüt in Dillenburg ab und machte die Prüfung zum Richteranwärter. Mein erstes eigenes Pferd ("Ghazim") kaufte ich 1992. Ghazim ist ein Trakehner Wallach mittlerweile 18 jährig haben wir viele Höhen und Tiefen gemeinsam durchgestanden.

» Biografie

Wenn man sich durch ihre Web-Seite liest, hat man das Gefühl, als sei ihr Leben gar nicht so sehr viel anders als das anderer Leute - nein, so ganz stimmt das nicht, es ist offensichtlich intensiver, positiver, tiefer. Wenn ich mir Jugendliche vor Augen führe, die große Schwierigkeiten haben, ihre Rolle im Leben zu finden und dabei ihr Leben leichtfertig aufs Spiel setzen, oder die üblichen mißgelaunten, überdrüssigen, ja angeekelten Gesichtsausdrücke beliebiger Kunden im Supermarkt, fällt mir dieser Unterschied besonders auf.

In der Selbstdarstellung von » Bianca Vogel ist etwas mehr von den Schwierigkeiten eines Lebens mit Behinderungen zu spüren.



Mehraufwand


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Bianca Vogel: Aufsteigen einmal anders · © 2008
 
» Bianca Vogel: Aufsteigen einmal anders
Allerdings bringt auch Bianca Vogel eine eher optimistische Grundhaltung zum Ausdruck, ohne jedoch die alltäglichen Probleme herunterzuspielen:

Mein sportliches wie privates Leben ist bestimmt von einem gewissen Mehraufwand, den ich betreiben muss, um mithalten zu können. Das war immer schon so. Im Großen und Ganzen komme ich gut zurecht, aber erst auf dem Pferderücken fühle ich mich frei � frei von den Zwängen, die mir meine Behinderung auferlegt. Denn immer bin ich auf andere angewiesen � sei es, dass ich mir die Haare hochstecken oder auf mein Pferd steigen möchte. Immer muss mir jemand helfen. Doch sobald ich auf dem Pferd sitze, bin ich selbstständig. Das gibt mir ein gutes Gefühl, hier finde ich meine innere Zufriedenheit. Das Pferd bietet mir somit eine Möglichkeit zur Integration. Die Erfolge geben mir Kraft, für diese Integration zu kämpfen.

» Meine Philosophie

Und auch hier haben wir wieder die Sehnsucht nach Integration. Die ersten sportlichen Veranstaltungen für behinderte Reiter fanden Anfang der siebziger Jahre in Skandinavien und Großbritannien statt, die ersten Weltmeisterschaften 1987 in Schweden. 1996 nahmen die Reiter zum 1. Mal an den paralympischen Spielen teil. Im Jahre 2004 in den waren es schon über 70 Pferdesportler aus 29 Nationen.

Bianca Vogel war 1991 die erste Weltmeisterin im Dressursport für Behinderte, und zwar sowohl im Einzel als auch in der Mannschaft. Im letzten Jahr wurde ihr das Goldene Reitabzeichen verliehen, zusammen mit Hannelore Brenner, Angelika Trabert und Bettina Eistel. Der Behindertensport macht gewaltige Fortschritte. Die Integration wird Schritt für Schritt verwirklicht.

Das DKThR hat in den 38 Jahren seines Bestehens sehr viel bewegt; es gibt heute konkrete Ausbildungsordnungen, Ausbildungsstätten, Ausbilder, anerkannte Einrichtungen - mit all diesen Maßnahmen wird die Qualität der vielfältigen Aktivitäten gesichert und weiterentwickelt. Und je weiter sich die Möglichkeiten herumsprechen, desto mehr Menschen werden gebraucht, die diese in der Praxis umsetzen.

Wenn es mit Hilfe der Mittel der Carina-Stiftung gelingen sollte, den Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit und der Angemessenheit des Mitteleinsatzes zu erbringen, so daß die Kosten für therapeutische Maßnahmen von den Kostenträgern übernommen werden können, wird die Nachfrage und damit der Bedarf an ausgebildetem Fachpersonal nochmals deutlich steigen.

Bis dahin müssen die Kosten privat aufgebracht werden; falls das nicht möglich ist oder eine unbillige Härte bedeuten würde, kann eine Unterstützung seitens des DKThR, z. B. über den » Kinder-Unterstützungs-Fonds (KUF) des DKThR, beantragt werden; entsprechende Antragsunterlagen sind auf der Internet-Seite zu finden. Die Maßnahmen können allerdings nur gefördert werden, wenn die Therapeuten eine vom DKThR anerkannte Ausbildung vorweisen können. Das DKThR nimmt also sowohl in der Aufbauarbeit als auch in der Kontrolle eine zentrale Stellung ein - so soll es sein, nur so kann es gehen, und so geht es auch.

In diesem Jahr bietet das DKThR beispielsweise ein Pilotprojekt an: Staatliche anerkannte "Fachkraft für Heilpädagogisches Förderung mit dem Pferd". Mit solchen Initiativen werden Kompetenz und Sicherheit gefördert und nicht zuletzt Existenzen gegründet. Mehr und mehr Menschen arbeiten an diesen Zielen und werden diese unvermeidlich verwirklichen. Mehr Lebensqualität, mehr Integration, mehr Lebensfreude - das sind keine leeren Worte, sondern ganz konkrete Meilensteine, die nachweislich realisiert werden.

Jeder kann dabei mithelfen, auch Sie, z. B. durch finanzielle Beiträge oder Kontakte. Selbst kleinste Beiträge helfen, man kann Mitglied werden, man kann spenden oder sonst beitragen, z. B. durch Mitarbeit. Pferde sind bekanntlich nicht billig, und wenn man den Sport ernstnimmt, können die Kosten leicht Budgets sprengen. Angelika Trabert schildert auf ihrer Homepage, welche Konsequenzen die Doppelbelastung des Berufs und der sportlichen Ausbildung haben.

Um die hohen Anforderungen des Spitzensports erfüllen zu können, hat sie eine Stundenreduzierung beantragt und bewilligt bekommen. Damit vergrößerte sich jedoch der finanzielle Druck. Sie wirbt daher auf deutsch und auf englisch für sich und ihre Kollegen um Unterstützung (» Sponsoren). Im Regelsport ist das nichts Neues, für den Behindertensport jedoch keineswegs die Regel, und auch dort, wo sich Sponsoren gefunden haben, sind die Verhältnisse durchaus unsicher. Hier bleibt also noch viel zu tun, und selbst wenn die Frage der Kostenübernahme geklärt sein sollte, wird immer noch Bedarf an zusätzlicher Hilfe sein.



Rollinetzwerk


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Auf » Das Rollinetzwerk - Treffpunkt für Fußgänger und Rollstuhlfahrer habe ich den Beitrag » Reitunfälle gefunden:

30.000 Unfälle passieren nach Statistik der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) jedes Jahr im Reitsport.

Besonders gefährdet sind demnach junge Reiterinnen: Mädchen unter 14 Jahren machen etwa 17,5 Prozent der organisierten Reiterinnen in Deutschland aus, doch sind bei 40 Prozent aller Reitunfälle betroffen.

Falls doch etwas Schreckliches passiert und der Reiter im Rollstuhl landet, fallen erhebliche Kosten für Umbauten und die Erhaltung der Lebensqualität an, die laut Rollinetzwerk oft nur teilweise oder gar nicht übernommen werden. Der Verein bietet Mitgliedern eine Zusatzversicherung an, die für einen geringen Beitrag bis zu 160.000 EUR Soforthilfe leistet. Der Beitrag für Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren beträgt beispielsweise 50 EUR im Jahr und sichert eine Soforthilfe von 110.000 EUR zu. Man muß natürlich kein Rollstuhlfahrer sein, um beitreten zu können. Der reguläre Jahresbeitrag beträgt 25 EUR.

Abschließend eine kleine, wahre Anekdote: Ein Rollstuhlfahrer schaut sich mit Freunden und Bekannten im Fernsehen eine Ballettaufführung an. Anschließend sagt einer in der Annahme, der Behinderte höre es nicht: "Wie kann der sich so etwas anschauen? Das könnte der doch nie!" Der hat das aber doch gehört und mischt sich ein: "Wieso? Ihr könntet das doch auch nicht!"



Quellen / Verweise


  1.  Mittler zwischen Welten
  2.  » Sportunfälle � Häufigkeit, Kosten, Prävention
  3. » Sportunfälle in Deutschland
  4. » Lebensretter Reithelm
  5. » Hannelore Brenner
  6. » Wer bin ich
  7. » Sommer-Paralympics 2000
  8.  Hannelore Brenner
  9.  Die Regeln
  10. » der reha treff Ausgabe 2 2007
  11. » Stephen Hawking
  12. » Amyotrophe Lateralsklerose
  13. » Jörg Immendorff
  14. » Mao Zedong
  15. » Baseball
  16. » Lou Gehrig
  17. » Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V.
  18. » Sport und Freizeit für Menschen mit Behinderung mit dem Pferd
  19. » Hippotherapie
  20. » Ergotherapeutische Behandlung mit dem Pferd
  21. » Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd
  22. » Weiterbildung
  23. » Physiotherapeuten
  24. » Pädagogen & Psychologen
  25. » Ausbilder im Reiten als Sport für Behinderte
  26. » Ergotherapeuten � Lizenz in der Ergotherapeutischen Behandlung mit dem Pferd
  27. » Historie
  28. » Gottfried von Dietze
  29. » Als Pfarrer mit dem Pferde unterwegs
  30. » Angelika Trabert
  31. » Biografie
  32. » Bianca Vogel
  33. » Meine Philosophie
  34. » Kinder-Unterstützungs-Fonds (KUF) des DKThR
  35. » Sponsoren
  36. » Das Rollinetzwerk - Treffpunkt für Fußgänger und Rollstuhlfahrer
  37. » Reitunfälle
  38. » Treffen Sie Vorsorge !
  39.  Tu Gutes und rede darüber, Spenden für den guten Zweck - Bexter Hof Open freut sich auf Ihren Besuch
      Ausgabe 479 · Teil 1
  40.  Wo und wie kann ich Gutes tun?, Die Umsetzung des Philanthropie-Konzepts
      Ausgabe 480 · Teil 2
  41.  Spenden sind Glücksbringer, Kontakte, Schicksale, Initiativen und Integration
      Ausgabe 484 · Teil 3


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Editorial: Sterbehilfe


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W. Popken im Fenster
Selbstportrait 08/2004
 
 
13.07.2008

Sterbehilfe

Das Thema ist wieder einmal aktuell: Wann ist das Leben nicht mehr lebenswert? Darf jeder über sein Leben selbst bestimmen? Unabhängig von der theoretischen Frage gibt es seit jeher die Praxis der » Selbsttötung. Laut Wikipedia handelt es sich dabei sehr häufig um Kurzschlußhandlungen, die aus Krankheitszuständen begründbar sind, im wesentlichen » Depressionen.

Als Beleg wird zum Beispiel angeführt, daß sich von über 500 Personen, die sich ursprünglich von einer Brücke stürzen wollten und davon abgehalten werden konnten, letzten Endes nur 30 wirklich umgebracht haben (Untersuchung an der » University of California, Berkeley). Aber auch hierzulande kam man zu ähnlichen Ergebnissen:

Das "Nürnberger Bündnis gegen Depression" untersuchte 2001�02, ob eine Aufklärungs- und Fortbildungskampagne über die Depression Suizide und Suizidversuche verhindern kann. Auf vier sich ergänzenden Interventionsebenen wurden Hausärzte geschult, eine professionelle PR-Kampagne gestaltet, Multiplikatoren wie Lehrer, Pfarrer und Pflegepersonal angesprochen und weitergebildet sowie Hilfsmaßnahmen und Informationsmaterialien für Betroffene und Angehörige angeboten. Nach zwei Jahren Intervention (2001 und 2002) ging die Gesamtzahl der Suizide und Suizidversuche im Vergleich zum Kontrolljahr 2000 und zur Kontrollregion Würzburg signifikant um 24 % zurück. Für Suizide allein war kein statistisch signifikanter Nachweis möglich, da die untersuchte Region und damit die Zahl der Suizide zu klein war und die zufälligen jährlichen Schwankungen zu stark.

» Suizid

Vor fünf Jahren wurde von der » Weltgesundheitsorganisation erstmals der » Welt-Suizid-Präventionstag ausgerufen, um auf dieses Tabuthema aufmerksam zu machen, weil der Suizid eines der größten Gesundheitsprobleme der Gegenwart darstelle. Es handelt sich also um kein kleines Problem. Für jeden erfolgreichen Suizid rechnet man 10 bis 15 mißlungene Versuche, die sehr häufig zu schweren, dauerhaften Gesundheitsschäden, also Behinderungen, führen.



Plädoyer

Aus gegebenem Anlaß wurde neulich das Thema "Sterbehilfe" besonders engagiert diskutiert. Jemand, der sich selbst als unheilbar krank bezeichnete, erklärte, der Kranke müsse selbst entscheiden, was er tragen wolle; diese Entscheidung sei allerdings nicht von den medizinischen Befunden abhängig, sondern davon, ob man ein krankes Leben und auch das Durchleiden eines solchen Lebens als sinnvoll bezeichnen könne. Darüber könnten nicht die Angehörigen und Sterbehelfer entscheiden.

Angesichts der teuren Versorgung und Behandlung und des allgemeinen Sparwillen könne man das Recht auf Leben nicht mehr für selbstverständlich halten. Außerdem sei es hilfreich, wenn der Sinn seines eigenen kranken Lebens nicht ständig erklärt werden müsse. Es sei genauso schön und sinnvoll wie jedes andere Leben auch, und wegen der Begleitung von Freunden sei es auch tragbar bis zum Tode, wie jedes andere Leben auch.

Die Belastung durch die akute Bedrohung durch den Tod sei zwar vorhanden, habe das Leben aber auch kostbar gemacht, und daher könne er seine Lebenszeit sehr genießen und hoffe, daß er auch in Zukunft nicht einsam sei, genug Schmerzmittel erhalte, um mit Menschen sprechen zu können, gut gepflegt werde und seine geliebte Musik immer hören zu können. Dann bedürfe es keiner Sterbehelfer und keiner Gesetze. Die einsame Frau in Würzburg hätte unter solchen Umständen vermutlich nicht sterben wollen.

Das Leiden und Sterben sei grundsätzlich ein Teil des Lebens und die Menschheit müsse wieder lernen, dessen Begrenztheit anzunehmen und zu ertragen. Das könne man den Menschen zutrauen. Im übrigen müsse die Sorge um das Sterben immer von der Sorge um das Leben begleitet sein. Wenn die sozialen Umstände dieselbe Sorgfalt erfahren würden wie die Sterbewünsche, würden diese gar nicht erst entstehen.



Sinnfrage

Diese Aussage hat mich sehr angerührt. Ich würde die Kernfrage noch erweitern: "Welchen Sinn hat das Leben überhaupt?" Nicht nur das kranke Leben will gerechtfertigt werden, das Leben insgesamt ist fragwürdig und bedarf der Rechtfertigung.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich halte das Leben für absolut gerechtfertigt, in jedem Fall, nur meine ich, daß die Frage gestellt und beantwortet werden muß. Warum lebe ich? Wofür lebe ich? Was ist mir wichtig? Was macht mir Freude? Womit kann ich mir selbst im Angesicht des Todes gegenübertreten?

Das Leben ist endlich und es ist kurz. Im Grunde haben wir keine Zeit zu verschwenden, wenn wir ein sinnvolles und erfülltes Leben führen wollen.



Behinderungen

In gewisser Weise paßt die Diskussion um die Sterbehilfe gut zum Thema unseres Hauptartikels. Die dort geschilderten Menschen strotzen geradezu vor Lebensfreude und Lebensmut und beweisen ununterbrochen, daß sie sich durch Schwierigkeiten, die anderen unerträglich vorkommen mögen, nie und nimmer unterkriegen lassen wollen. Wie kann das sein? Warum verlieren Menschen den Mut, denen es objektiv gesehen sehr gut geht, und umgekehrt schöpfen andere aus objektiv schlechten Voraussetzungen ungeheure Kräfte?

Könnte es sein, daß der Wert des Lebens gering zu sein scheint, solange das Leben leicht fällt? So wie Wasser demjenigen nichts bedeutet, bei dem es jederzeit aus der Wand fließt, während es anderen äußerst kostbar ist, weil sie lange gedürstet haben? Wären in diesem Sinne Behinderungen eine Daumenschraube, die den Wert des Lebens erhöhen?

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es wäre natürlich völlig falsch, die Wasserleitungen stillzulegen, damit die Menschen den Wert des Wassers wieder schätzen lernen! Andererseits wäre es aber vielleicht sehr hilfreich, den erfahrenen Mitmenschen zuzuhören, die wissen, was Wasser, einfaches, gutes Wasser wirklich bedeutet. Man könnte diese Erfahrung vielleicht sogar selbst machen, indem man für eine Weile auf alle verfeinerten Getränke verzichtet und nur noch Wasser trinkt, bis man dieses wieder schätzen kann.

Die Methode wäre ja nicht neu. Wer ständig unter Lärmbelastung zu leiden hat, zieht sich am besten für eine Weile in die Stille zurück. Wer hektisch lebt, sollte für eine kleine Zeit am Tag ruhig werden und meditieren, damit er sich wieder zentriert und seine Mitte findet, aus der heraus er seine Kraft schöpfen kann. Wer unter falschen Werten leidet, sollte diese hinter sich lassen und nicht länger ruhen, als bis die wahren Werte zutage gefördert sind.

Ich bin sicher, die Behinderten haben den Nichtbehinderten eine Menge zu sagen. In diesem Sinne brauchen die Nichtbehinderten die Behinderten ganz nötig.

 
Chefredakteur und Herausgeber