Der schlagende Beweis, daß Karl May nicht wissen konnte, wovon er spricht, ist für Barbara Siebert die Stelle, in der Karl May die Strapazen des Reitens beschreibt:
| Es wird jedoch nie erwähnt, dass jemand durch zu langes Sitzen im Sattel sich mehr als nur innerlichen Muskelkater �erworben� hat, sich nämlich auch äußerlich die Haut an Sitzfläche und Beinen wundschabt - umgangssprachlich unter Reitern ausgedrückt: �sich einen Wolf geritten hat�.
Lediglich in der 1888/89 als Zeitschriften-Fortsetzungswerk im �Deutschen Hausschatz� erschienenen Erzählung �Der Scout�, in der der (später Old Shatterhand genannte) Ich-Erzähler nicht nur - wie in den folgenden Erzählungen so oft - das Greenhorn spielt, sondern es in jeder Beziehung auch ist, erhält der Leser noch einen Hinweis darauf, dass ein begnadeter Reiter nicht geboren wird, sondern auch eine gewisse Ausbildung und - vor allen Dingen - Übung braucht. Der Autor Karl May versteht es, seinen Lesern die Wirkung des ungewohnten Reitens drastisch - und nicht ohne eine gewisse Portion Ironie - vor Augen zu führen, natürlich stets mit dem Authentizitäts-Gedanken im Hintergrund:
"... von Schlaf war bei mir keine Rede. Wer sich einmal die Schenkel bis an das Knie aufgeritten hat, so daß die Lederhose am wunden Fleische anklebt und noch dazu die schöne Aussicht hat, am nächsten Tage einen Ritt von fünfzig Meilen durch glühendes, wüstes Land machen zu müssen, der dürfte wohl nicht geträumt haben, daß er bei einem Glase Sect und mit einer Nummer des "Deutschen Hausschatzes" in der Hand im Schaukelstuhle sich wiege."
Die so drastisch geschilderten Auswirkungen der mangelnden Übung des Ich-Erzählers bilden den Anlass für Old Death - der gleichzeitig handelnde Person und auch Namensgeber der �Scout�-Erzählung ist -, weidlich über das �Greenhorn� zu spotten, das "auf dem Pferde sitzt wie eine Wäscheklammer auf der Leine". Der Verspottete jedoch gibt dies freimütig zu: "... er hatte Recht. Meine Haltung war nichts weniger als elegant oder malerisch zu nennen. Ich hielt die Beine weit vom Pferde ab und fühlte eine Art krampfhafter Ergebung, in welcher mir schließlich Alles gleichgültig war." Aber er ist überaus und ungemein tapfer:
"Bereits beim Absteigen vom Pferde war es mir schwer geworden, auf den Erdboden zu kommen. Meine Beine waren steif und schwerfällig, so daß mir schon das Treppensteigen sehr schwer geworden war. Jede Bewegung, durch welche die Lederhose in Mitwirkung gezogen wurde, verursachte mir Schmerzen ... Ich nahm mir vor, wie ein echter Vollblutindianer allen Schmerz zu verbeißen ..."
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Daraus schließt sie, daß Karl May niemals selbst geritten ist, denn sonst wüßte er, daß es das Gesäß ist, das vor allen Dingen leidet. Der Held müßte Schwierigkeiten haben, zu sitzen. Und dann setzt sie noch eins drauf:
| Der Galopp der treuen, herausragend guten Pferde ist so gleichmäßig, dass ihr Atem unhörbar geht und die Bewegung für den Reiter so wenig spürbar ist, dass er völlig ruhig im Sattel sitzt und �schreiben� könnte, obwohl es zu diesem Zweck auch noch geeignetere Orte gäbe: "Ich saß so ruhig im Sattel wie auf einem Stuhl; ich hätte dabei schreiben können, so gleichmäßig schoß Rih dahin." Diese Szene erinnert doch sehr an den Ritt des Barons Münchhausen, der auf einer Kanonenkugel �ritt�. Es ist überhaupt typisch, dass die Romanfigur im Sattel den Rhythmus des Pferdes (auch im Galopp) nicht spürt: Reiten ohne (spürbare) Bewegung also, ein Widerspruch in sich! Die unrealistische Vorstellung des Bewegungsablaufs eines Pferdes im Galopp (Dreitakt mit Schwebephase, allein dieser �Sprung� ist spürbar, bei manchen Pferden sogar sehr stark) beweist einmal mehr die hippologische Unkenntnis des Autors.
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So ist dann auch der Auszug der Magisterarbeit im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft überschrieben: "Ich saß so ruhig im Sattel wie auf einem Stuhl". Das ist sozusagen der Gipfel der Unglaubwürdigkeit. Karl May, so können wir nun ohne Zweifel mit der Autorin schließen, war mit Sicherheit kein Pferdeflüsterer, sondern ein Aufschneider. Aber was für einer! Einer, der noch fast 100 Jahre nach seinem Tode die Menschen mehr denn je bewegt. Aufschneider hat es viele gegeben, auch und gerade in der Literatur. Aber: Wer kümmert sich heute noch um Münchhausen? Die Aufschneiderei als solche ist es also nicht. Was ist es denn, was 100 Millionen Leser, Jugendliche und Erwachsene, Männer und Frauen, einfache Gemüter, raffinierte Künstler und gestandene Wissenschaftler an diesem verhinderten Dorfschullehrer fasziniert?
Dieser Frage will ich in der nächsten Woche nachgehen und dabei auch den Problemkreis beleuchten, der mich ursprünglich umgetrieben hat, als ich die Karl-May-Gesellschaft kontaktierte, nämlich die Frage nach der Tierliebe des Karl May, denn die hatte mich als Jüngling so besonders fasziniert. Damit hat sich Barbara Siebert gar nicht beschäftigt. Ihr reichte es, Karl May als Ignoranten zu entlarven. Immerhin gibt sie zu, daß ein Realitätsbezug für die Literatur unerheblich ist. Insgesamt scheint sie aber von Karl May weder als Pferdekenner noch als Literat noch als Mensch viel zu halten.
Quellen / Verweise
Fotos
wie angegeben
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