Moshé Feldenkrais (1904-1984) hat die These entwickelt, daß wir nur 5% unseres Potentials nutzen. Für ihn war das Lernen das Wichtigste, Aufregendste. Seine Methode wird deshalb auch als spezielles Verfahren zu Gestaltung von Lernprozessen bezeichnet (» Die Feldenkrais-Methode). Er war ursprünglich Physiker, aber immer auch an sportlicher Betätigung interessiert.
Jiu-Jitsu war seine bevorzugte Sportart. 1936 errang er als erster Europäer den Schwarzen Gürtel zweiten Grades, begann zu unterrichten und Bücher darüber zu schreiben. Während des Zweiten Weltkriegs verschlimmerte sich eine alte Verletzung, die er sich beim Fußball zugezogen hatte. Daraufhin begann er, seine Bewegungen zu studieren, und erreichte, daß die Schmerzen in den Knien verschwanden.
Er probierte seine Entdeckungen im Bekanntenkreis aus und entwickelte sie zu einer Lernmethode weiter. Erst gegen Ende seines Lebens richtete er ein formales Ausbildungssystem ein. Dabei war er an den Erkenntnissen seiner Schüler ebenso interessiert wie an seinen eigenen.
Sein Interesse galt dem Handlungsablauf. Körperhaltung verstand er deshalb als auf Verhalten bezogenen (dynamischen) Prozeß, nicht als einen (statischen) Zustand. » Die Feldenkrais-Methode | Das klingt reichlich abstrakt. Was hat das mit dem Reiten zu tun? "Sitz gerade!" Zweifellos handelt es sich hier um einen Handlungsablauf. Man kann die Art und Weise, wie man sitzt und sich bewegt, als Verhalten bezeichnen. Und zwar ist das ein Verhalten, das uns charakterisiert:
"Wir handeln dem Bilde nach, das wir uns von uns machen" (Feldenkrais 1978:19). "Ein jeder bewegt sich, empfindet, denkt, spricht auf die ganz ihm eigene Weise, dem Bild entsprechend, das er sich im Laufe seines Lebens von sich gebildet hat. Um die Art und Weise seines Tuns zu ändern, muß er das Bild von sich ändern, das er in sich trägt" (Feldenkrais 1978:31). Der Begriff des Selbstbildes umfaßt die vier Dimensionen Sinnesempfinden, Fühlen, Denken und Bewegen. Der Zugang zu diesem Selbstbild erschließt sich über die absichtsvoll handelnde Person - deren Innensicht. Korrektur von außen, bloße Nachahmung oder rein mechanische Einwirkung auf Teilbereiche des Körpers erübrigen sich deshalb. Moshé Feldenkrais trägt sowohl in seiner Begrifflichkeit wie in seiner Praxis konsequent der Einheit von Körper, Geist und Seele Rechnung. » Die Feldenkrais-Methode, Hervorhebung durch den Autor | Hier haben wir jetzt den Schlüssel: Traditionelles Lehren beschränkt sich eben auf "Korrektur von außen", auf "bloße Nachahmung", "rein mechanische Einwirkung". Wenn man mit Feldenkrais annimmt, daß unser Handeln durch das Bild bestimmt ist, das wir von uns machen, kann Lernen gar nicht stattfinden, wenn man die Sache nicht an der Wurzel packt.
Tatiana Peter faßte den Ansatz wie folgt zusammen: "Es geht um das Wie, nicht um das Was." In der herkömmlichen Reitlehre wird unterrichtet, was man zu tun hat. Hier geht es darum, wie man es zu tun hat.
"80% der Probleme sind körperlicher Natur. Feldenkrais hat gesagt: Nur wenn ich weiß, was ich tue, kann ich tun, was ich will." Also geht es um Bewußtheit. Und wie erreicht man die?
Feldenkrais-Lehrende verstehen ihre Arbeit als Anleitung zu "organischem Lernen". Diese Art des Lernens orientiert sich am sinnes- und experimentierfrohen Lernen und Verstehen von Kleinkindern. Sie steht Menschen jedoch lebenslang zur Verfügung. Inspiriert wird dieses Lernen durch Neugier, Lust, Erstaunen, Freude an Überraschungen und dem Bedürfnis sich mitzuteilen. Entsprechend dieser "kindlichen Logik" wird absichtslos mit scheinbar zufälligen Bewegungen experimentiert. Neue Sinnesempfindungen tauchen auf, Unterschiede werden erkannt und bilden im Nervensystem neue sensomotorische Gestalten (Reese 1991:7) oder lassen längst nicht mehr genutzte "Bahnen" wieder auftauchen. Die Reorganisation von Verhalten erfolgt hier auf dem gleichen Weg, auf dem sie entstanden ist: dem der vielfältigen Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrung (Sensomotorik). » Die Feldenkrais-Methode |
| |