| | L. Koch: Sennerpferde im ehemaligen Gestüt Lippe verfolgen ein fremdes Pferd. | | | |
| | | | Lippspringer Jagdgesellschaft, Ausschnitt | | | |
| Eine Gruppe von dunklen Pferden (ich zähle mindestens 16) verfolgt ein weißes Pferd. In wildem Galopp jagt die Gesellschaft über karges Gelände. Der Schimmel ist angetan mit einem Halfter, an dem ein Strick baumelt, seine Augen sind schreckhaft geweitet, und es ist offensichtlich, warum die Panik begründet ist: die nächsten Pferde beißen den Schimmel, das falbe Pferd mit heller Mähne und Schweif ganz derbe, als wollte es ein ganzes Stück Fleisch aus dem Halsansatz herausreißen.
Die Assoziation liegt auf der Hand: Die Senner Pferde sind frei, sie dulden kein versklavtes Tier unter sich, auch wenn es sich aus seiner Knechtschaft losgerissen hat.
Dieses Bild erscheint mir symptomatisch. Die Senner stehen für viele Werte, u. a. für Freiheit und Ungebundenheit. Bis heute lassen sich Emotionen vorzüglich auf die Pferde projizieren. Möglicherweise entpuppen sich bei näherem Hinsehen viele Vorstellungen als Fiktion, als Wunschvorstellung. Dieses Bild jedenfalls scheint mir einen sehr geringen Wahrheitsgehalt zu haben.
Ein anderes sehr großes Blatt ist eine Reproduktion eines Gemäldes, das sich im Schloß in Luxemburg befindet. Es stellt die Jagdgesellschaft Lippspringe dar. Ich zähle etwa 35 Pferde, eine große Meute, einige Männer zu Fuß, die meisten zu Pferd, im Zentrum eine Dame mit langen Kleid im Damensitz. Die Namen sämtlicher Teilnehmer und Pferde sind heute noch bekannt. Vermutlich sind die meisten, wenn nicht alle Pferde Senner.
Selbstverständlich handelte es sich um ein Vergnügen des Adels. Die Senner waren in ihrer ganzen Geschichte immer Pferde der Herrscher. Zwar liefen sie frei im Wald und in der Senne herum, gehörten aber den Grafen und späteren Fürsten genauso wie das übrige Wild, der Wald und der Boden. Im Gegensatz zum Jagdwild griff der Besitzer jedoch bei den Pferden züchterisch in das Geschehen ein.
Bisher war ich der Meinung gewesen, daß sich die Beeinflussung auf die gezielte Bereitstellung von Hengsten beschränkte. Dabei hatte ich aber meine Phantasie nicht genug walten lassen.
Die Detmolder schützten sich gegen die Pferde, indem sie auf dem Kamm des Teutoburger Waldes einen großen Zaun errichteten. Wie in den Städten in der Prärie heutzutage, wo sich die Bewohner auch beschweren, daß die Mustangs die Vorgärten in den Randbezirken zerstören ( Strichmuster). Nach Süden hin, zur Senne, war das Gelände offen. Wenn der Wald und die Heide nichts mehr hergaben, waren die Pferde gezwungen, sich über die Äcker der Bauern herzumachen.
Die Senner Pferde waren deshalb die natürlichen Feinde der Senner Bauern, so wie die Rancher die Mustangs als Feinde betrachten, weil die Pferde angeblich den Rindern das Futter streitig machen. Die Landwirte bei uns beklagen sich, wenn das Schalenwild den Wald verläßt und die Äcker beehrt. Manchmal passiert es auch dem normalen Pferdehalter, daß sich sein Liebling dort vergnügt, wo er nicht hingehört - peinlich, wenn nichts Schlimmes passiert, unangenehm, wenn es auch noch zu Unfällen kommt. Pia Rennollet hat zum Beispiel davon berichtet, wie sich ihr Wichtel als Ausbrecherkönig ausgezeichnet hat, was ihm leider ganz schlecht bekam ( Shetty Wichtelmann).
In der neuen "Wildbahn" im Naturschutzgebiet Moosheide sind die Pferde selbstverständlich eingezäunt, mit einem Lattenzaun und dreifachem Elektrodraht. Da sollten sie nicht ausbrechen können. Gleichzeitig sind sie aber auch eingesperrt und müssen mit dem vorliebnehmen, was sie dort vorfinden. Sie können nicht, wie ihre Vorfahren, über weite Strecken Futter suchen und sich zur Not beim Weizen des Bauern bedienen.
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