Einige möchten den Kaltblüter neue Nutzungsmöglichkeiten dadurch erschließen, daß sie diese überall dort einsetzen, wo andere Pferde eingesetzt werden. Also sieht man Kaltblüter in der Dressur, im Fahrsport, beim Springen weniger, aber auch im Westernsport und bei der Showreiterei. Sind Kaltblüter wirklich Reitpferde? Tut man sich und den Kaltblüter etwas Gutes, wenn man sie als Reitpferde nutzt? Jedes Pferd kann galoppieren, aber üblicherweise setzt man im Rennsport ausschließlich Vollblüter ein. Auch ein Kaltblüter kann galoppieren, aber sollte man das forcieren?
Die IGZ setzt auf Verwendung der Kaltblüter in wirtschaftlichen Zusammenhängen, und zwar nicht nur im Bereich der Forsttechnik. Deshalb spielt die Maschinenausstellung eine große Rolle. In meiner Jugend gab es neben dem Mähbinder und dem Pflug noch eine ganze Reihe anderer Maschinen, etwa den Heuwender. Eine ganze Reihe dieser alten Maschinen wird traditionell auf der PferdeStark ausgestellt, aber das Schwergewicht liegt eigentlich auf den Neuentwicklungen. Ich habe die Faszination der Kaltblutfreunde für diese Maschinen erst in diesem Jahr verstanden.
Das Problem besteht offenbar darin, geeignete Antriebsmechanismen zu entwickeln. Die Übertragung der Zugkraft auf die Räder und von dort auf andere Mechanismen scheint nicht zu funktionieren oder nicht auszureichen. Also ist man auf die Idee verfallen, herkömmliche Benzinmotoren auf Fahrgestelle zu montieren und mit diesen Motoren die benötigten Geräte anzutreiben. Man kann sich vorstellen, welchen Krach eine solche Maschine macht, und muß sich wundern, daß die Kaltblüter, die einen solchen Wagen ziehen, nicht die Nerven verlieren.
Ob sich eine solche Lösung auf die Dauer durchsetzen wird, muß sich zeigen. Es wurden jedenfalls in diesem Jahr Innovationspreise für neue Maschinen verliehen, die keine Motoren benötigten, so etwa ein Wagen mit Transportvorrichtung, der einen riesigen Strohballen transportieren kann. Der Moderator betonte, daß alle diese Erfindungen nicht etwa von Ingenieuren gemacht worden sind, sondern von Bauern - wobei ich mich gefragt habe, ob das wieder die typische Unschärfe war, denn nach meiner Einschätzung sind die meisten Kaltblut-Freunde keineswegs Bauern. Einer der mir bekannten Teilnehmer ist zum Beispiel Rechtsanwalt und Notar.
Wie dem auch sei - auf dem Stand der IGZ habe ich den Katalog eines amerikanischen Landmaschinenproduzenten erhalten. Pioneer Equipment Inc., Dalton, Ohio. Merkwürdigerweise hat diese Firma keine Internetpräsenz. Auf dem Umschlag ist ein interessante Pflug abgebildet, der den Namen "The Pioneer Sulky Plow" trägt. Wenn ich das Foto richtig interpretiere, hat dieser Pflug zwei Eisenräder, von denen das eine in der Furche läuft, während das andere als Schneidmesser ausgebildet ist, und einen Sitz, der über der Pflugschar angebracht ist. Daher wohl der Namensbestandteil Sulky. Der Pflüger führt also diesen Pflug nicht - es gibt auch gar keine Griffe - sondern sitzt darauf und läßt sich fahren. Angeblich soll dieser Pflug ganz phantastisch funktionieren. Es gibt ihn in zwei Ausführungen, mit einer normalen Schar und einer modernen europäischen Schar. Die alten Modelle werden also weiterentwickelt.
Ich entnehme aus diesen vielfältigen Ansätzen, daß die wahren Kaltblut-Liebhaber mit ihren Pferde nicht reiten oder turniermäßig fahren möchten, sondern wie ein richtiger Bauer arbeiten, nützliche Tätigkeiten vollbringen wollen. Das ist eine gute Nachricht insofern als mit den Kaltblütern ja eine ganze Kultur verbunden ist, eine Arbeitskultur, ganz im Gegensatz zur Reitkultur des Adels, das Bürgertum und des Militärs. Wenn man die Nutzung der Kaltblüter verändern würde, ginge notwendigerweise auch die entsprechende Arbeitskultur verloren. Insofern stünde es dem Freilichtmuseum auch gut an, aus dem Zwang zur ständigen Steigerung der dargeboten Sensationen auszusteigen und sich statt dessen auf die Darstellung der alten Arbeitstechniken und deren eventuelle Weiterentwicklung für die Zukunft zu konzentrieren.
Es gibt ja in anderen Szenen sehr aufwendige Versuche, die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken. » Reenactment nennt man das. Meistens geht es dabei um historische Begebenheiten oder Schlachten. In Löhne wurde eine alte Wassermühle durch den Verein » Vom Korn zum Brot wieder zum Leben erweckt. Jedes Jahr werden dort alle Arbeitsschritte von der Saat über die Ernte, das Mahlen und das Backen neu inszeniert, so wie es im 19. Jahrhundert üblich war. Das kann man im Rahmen eines zweitägigen Festes natürlich nicht machen, aber man kann es wenigstens andeuten.
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