 | | Aus der Marbacher Gestütsmuseum Leichenwagen mit Langbaum, Baujahr 1900 |  |  |  |
| Mühlbacher, Paris, um 1900 · © 2008'> | | dto., Coupé d'Orsay, Langwiedgestell Mühlbacher, Paris, um 1900 |  |  |  |
| | Das ist eine Einzelheit, die zu denken gibt: Hier hat Leonard offenbar einmal genau hingeschaut und sich die Sache gemerkt. Daß die Verbindung zum Pferd über ein Geschirr erfolgt, ist ihm entgangen. Merkwürdig. So gesehen paßt es ins Bild, daß das Pferd kein Halfter trägt und der Kutscher keine Leinen in der Hand hat.
Der Langbaum war uns bereits aufgefallen. Es gibt Kutschen mit und ohne Langbaum. Ein Langbaum ist erforderlich, wenn die Kutsche sehr groß und schwer ist. Eine Coach z.B. wird mit Langbaum gebaut. Ein Langbaum ist aber sehr schlecht für die Wendigkeit des Gefährts.
So eine Kutsche mit Pferden vorne dran ist ja überhaupt ein sehr langes und schwerfälliges Fahrzeug. Wie soll man damit in engen Straßen, in der Stadt oder auf dem herrschaftlichen Gelände, zurechtkommen?
Je höher die beförderte Person im gesellschaftlichen Rang angesiedelt war, desto mehr Pferde wurden vor die Kutsche gespannt. In einem Buch über Kutschen habe ich einmal die Anzahl der Kutschen mit der entsprechenden Anspannung genannt gefunden, die bei den Verhandlungen zur Beendigung des 30jährigen Krieges in Münster und Osnabrück für die Verhandlungsdelegationen eingesetzt wurden.
Die einzig mögliche Assoziation war: diese Städte müssen permanent verstopft gewesen sein. Wenn eine Kutsche keinen Langbaum hat, kann man sie so konstruieren, daß die Vorderräder komplett unter dem Wagen verschwinden können. Damit kann man dann die Pferde im Winkel von 90 Grad oder mehr zum Wagen stellen und Wendungen fahren, wie sie nicht kürzer sein könnten.
Man hat selbstverständlich versucht, beide Konstruktionsprinzipien zu vereinigen. An der Abbildung links kann man einen Langbaum erkennen, der gar kein Baum mehr ist, sondern eine extrem gebogene Stange, die einerseits Platz für den Wagenkasten läßt, andererseits die Vorderräder aufnehmen kann. Diese sind etwas kleiner als die Hinterräder, um die Aufgabe nicht zu schwierig zu gestalten.
Der Wagenkasten ist in diesem Falle auch nicht starr mit den Achsen verbunden, sondern hängt an Lederriemen, die ihrerseits an gebogenen Federn befestigt sind, die wegen ihrer Form, die dem Buchstaben C ähnelt, C-Federn genannt werden. Das waren aber schon recht späte Entwicklungen. Leonards Kutsche ist eine ganz frühe, primitive Kutsche, die sicherlich sehr unbequem war.
Wie kommt ein kleiner Junge darauf, eine Kutsche mit einem Langbaum zu zeichnen? War wieder einmal die Sendung mit der Maus schuld?
Leonard hat auch gut beobachtet, daß der Kutscher im Regelfall sehr weit oben sitzt, damit er über die Pferde hinwegschauen und den Verkehr beobachten kann. Der Kutscher trägt einen großen Hut, der in seinen Dimensionen den Kronen entspricht und auch farblich fast damit verwechselt werden könnte: er ist ein bißchen grünlich.
Die Unterschenkel sind etwas sehr verkürzt, die Sitzfläche dynamisch gestaltet - damit der Kutscher bequem sitzt, nehme ich an. Die Peitsche ist in ihrem unteren Teil dicker, wird dann dünner, damit sie schwingen kann, und dann wieder etwas dicker, damit man die Peitscheschnur daran befestigen kann.
Der Kutscher ist konzentriert, schaut etwas melancholisch, trägt einen Bart, eine Uniform, hat schwarze Kraushaare und keine Nase. Diese Tatsache muß ich erwähnen, denn eine Kinderzeichnungen ist präzise und dementsprechend zu lesen. Was da ist, muß ebenso zur Kenntnis genommen werden wie alles, was fehlt.
Erstaunlich finde ich, daß diese Einzelheiten auf einer winzigen Fläche zum Ausdruck gebracht werden. Der Ausschnitt ist wesentlich größer als das Original. Der Mund des Kutschers ist etwa zwei Millimeter lang!
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