Leserbrief 860 zu Ausgabe 190 04.12.02
Hallo,
Sie haben in einer ihrer Ausgaben ,ich weis nicht mehr in welcher, einen SEHR schoenen philosophischen Text verfasst. Er hatt mich wirklich nachdenklich gemacht. nur einer kleineigkeit kann ich nicht zustimmen. Nämlich "von nichts kommt nichts". Denn ich weis von einem Experiment, bei dem man es geschafft hatt allein aus Wasser und einigen Mineralien und einem Blitz Proteine herstellen konnte. Das sind bekanntlich die Bausteine des Lebens. Dieser Versuch zeigte, dass die Enstehung von Leben es auch ohne die Hilfe von Gott möglich ist. Zwar sind die genannten Bestandteile des Versuchs nicht "nichts", aber so enstand meiner Meinung nach das Leben auf der Erde. Dennoch fand ich ihren Text wirklich interessant und würde mich über einen weiteren sehr freuen. Ich wäre ihnen für eine Antwort sehr dankber.
Jorg SichermannHallo Joerg Sichermann!
Zunächst herzlichen Dank für das Lob! Es freut einen Autor immer zu hören, daß seine Texte auch gelesen und geschätzt werden.
Das von Ihnen gebrachte Zitat konnte ich so nicht finden, aber dem Sinne nach mag ich mich in Ausgabe 190 so ausgedrückt haben. Trotzdem finde ich nicht, daß das Experiment, auf das Sie sich beziehen, mit der Frage nach der Existenz Gottes etwas zu tun hat.
Letztes Jahr habe ich einen Roman eines niederländischen Autors gelesen, der sich darin gefiel, die Rolle eines Wissenschaftlers zu beschreiben, der aus anorganischem Material Leben erzeugt haben will. Das wäre immerhin etwas anderes als bloße Proteine, die für sich genommen noch nichts darstellen.
Aber alle diese Experimente oder Gedankenexperimente führen nicht weit: selbst wenn die Welt eine Maschine wäre, die sich selbst in Gang gesetzt hat, bliebe die Frage, woher die Maschine bzw. deren Einzelteile wohl gekommen sein mögen, wo und wie also alles angefangen hat.
An diesem Problem haben sich die Theologen und Philosophen die Zähne ausgebissen: wie kann etwas sein, ohne geschaffen zu sein, oder andersherum: wenn etwas geschaffen ist, wer hat es geschaffen? Wenn einer etwas erschaffen kann, wer hat diesen erschaffen? Wo ist also der Anfang der Ursachenkette?
Für uns Menschen hat alles eine Ursache, und Ursachen erzeugen Wirkungen, und Ursache und Wirkung sind in der Zeit getrennt. Wir Menschen leben in der Zeit. Gibt es Zeit? Oder gleichen wir den Flachländern (siehe Exkurs Nichteuklidische Geometrie), deren Wahrnehmung einfach nur beschränkt ist?
Gibt es überhaupt Materie? Oder ist alles ein Traum, so real wie ein Kinofilm, der Realität vorgaukelt, in Wirklichkeit aber lediglich bunt gefärbtes Licht ist. Die Physiker haben versucht, die Eigenschaft der Materie zu untersuchen, aber je genauer sie hinschauten, desto mehr entglitt sie ihnen.
Materie ist genausogut Welle wie Teilchen, und Welle ist unfaßbar - dennoch hören wir Radio, sehen wir fern, telefonieren wir per Funk. Die Tatsache, daß wir diese Techniken beherrschen, ist weder Beweis noch Gegenbeweis der Existenz Gottes - sie hat damit nichts zu tun.
Vermutlich läßt sich Gottes Existenz nicht beweisen, denn sonst wäre der Beweis längst erbracht. Es gibt aber aus allen Kulturen und Zeiten Zeugnisse von Menschen, die Gott erfahren und bezeugt haben. In der Regel waren diese Leute gut bei Verstand und sehr nüchtern, also durchaus ernstzunehmen.
In unserer Kultur ist das bekannteste Beispiel Jesus von Nazareth, dessen Äußerungen nicht nur die Theologen seit 2000 Jahren beschäftigen. Allen diesen Berichten liegt zugrunde, daß es des persönlichen Einsatzes bedarf. Gotteserfahrung ist keine intellektuelle Angelegenheit.
Nun würden wir sicherlich Taube nicht über die Musik befragen wollen und Stumme nicht über die Dichtkunst. Welche Erfahrung der Malerei kann einer machen, der farbenblind ist? Wenn also einer behauptet, Gott existiere nicht: warum sollte man ihm glauben?
Wir würden doch zumindest fragen müssen, welche Anstrengungen derjenige unternommen hat, um zu dieser Aussage zu gelangen. Wenn ich behaupte, kein Mensch könne das Matterhorn besteigen, weil ich persönlich das nicht kann, würde ich mich nur lächerlich machen. Wenn einer unmusikalisch ist und beispielsweise Beethoven für uninteressant hält, wird man ihn nicht ernst nehmen. In Sachen Gotteserfahrung tut aber jeder so, als könne er mitreden. Ist das nicht eigenartig?
Bekanntlich gibt es Leute, die haben nie erfahren, was Liebe ist. Würden wir denen glauben, wenn sie behaupten, Liebe gäbe es gar nicht? Liebe kann man nicht messen, die Wissenschaft hat keine Methoden entwickeln können. Liebe ist auch keine intellektuelle Angelegenheit. Man kann Liebe nicht kaufen und nicht erzwingen.
Glücklicherweise erfahren die meisten Menschen, was Liebe ist, und wenn es nur die Mutterliebe ist, und selbst wenn es nur eine ganz armselige Liebe ist: Liebe als solche wird kaum angezweifelt. Und diejenigen, die behaupten, so etwas wie Liebe gäbe es nicht, bedauern wir: sie haben leider etwas ganz Wesentliches in diesem Leben nicht erfahren können.
Und damit sind wir wieder bei Gott, denn manche sagen: Gott ist die Liebe.
Mit freundlichen Grüßen Werner Stürenburg
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