Leserbrief 537 24.12.01
Lieber Herr Stürenburg! Zuallererst mal FROHE WEIHNACHTEN! Ich schreibe an sie mit einem kleinen/großen uralten Problem. Soll ich ein Pferd kaufen, oder nicht?
ICh bin 21 Jahre alt und habe mit 6 Jahren meine Liebe zu Pferden entdeckt und auch im reitunterricht bis ich 14 war voll ausgelebt. Dann waren plötzlich ander Dinge wichtiger -wer weiß warum...
Nach über sechs pferdelosen Jahren kam ich endlich wieder zurück zu meiner alten leidenschaft. und es ist schlimmer denn je, vor allem viel schöner, da ich die Tiere heute viel bewußter erlebe. seit 9 monaten reite ich nun wieder und seit 6 monaten habe ich eine Reitbeteiligung auf einer 11-jährigen Stute (Holländisches Warmblut), welche unser Reitlehrer im Auftrag verkaufen soll.
Sie ist wunderbar. das perfekte Lehrpferd sozusagen und einen eigenen kopf hat sie auch (ich mag nämlich keine "dummen" pferde die immer nur genau das tun was man von ihnen will). sie ist gesund und sehr fit. Sie kann sehr gut springen und auch in der dressur kann man toll mit ihr arbeiten. der anschaffungspreis ist nciht das grße problem, der monatliche unterhalt macht mir sorgen...
ich habe das angebot von ca. 150 EURO im monat für die stallmiete und hallen- bzw. Vierecknutzung.
dafür muss ich sie 2-3 mal in der woche zum reitunterricht der kleinen kinder zur verfügung stellen. an sich klingt das für mich sehr verlockend, nur weiss ich leider überhaupt nicht, mit welchen kosten ich sonst noch zu rechnen hätte. Schmied (mit oder ohne eisen), tierarzt, impfungen usw.
nun meine bitte:
Könnten sie mich kurz informieren wieviel geld man im schnitt für ein pferd (ohne turniere) im monat rechnen muss? natürlich habe ich schon andere reiter aus unserem stall gefragt, habe aber tausend unterschiedliche meinungen zu hören bekommen. da sie sicherlich auch in dieser frage recht kompetent sind (so wie auch in anderen themenbereichen, wie ich der pferdezeitung oft entnehmen kann) möchte ich auch um ihren rat bitten.
ich habe mich in diese süße dunkelbraune stute verguckt und könnte es nicht ertragen, wenn sie mir jemand vor der nase wegkauft...
da ich auch kein anderes hobby habe, und beruflich flexibel sein kann, ist mir auch der zeitaufwand nicht zu groß.
Ich würde mich sehr über eine antwort per Mail mit ein paar infos für meine kaufentscheidung freuen!
Vielen Dank im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen Annika KellerLiebe Frau Keller,
ich denke, Sie haben die Entscheidung für sich schon gefällt. Sie möchten das Pferd besitzen. Die Kosten werden Sie tragen können, was immer auf Sie zukommt. Da Sie Ihr Pferd in einem Stall halten, wird es sich anbieten, wenn Sie die Hufpflege und Impfungen etc. gemeinsam mit den anderen Pferden erledigen lassen. Sie fragen also am besten in Ihrem Stall, welche Kosten in dieser Hinsicht auf Sie zukommen.
Die Geschichte über Bella zeigt sehr schön, welche Erlebnisse mit einem Pferd möglich sind und wie die materiellen Probleme bewältigt werden können. Meine eigenen Erfahrungen legen nahe, daß die Kosten in einem herkömmlichen Stall wesentlich höher sind als bei Offenstallhaltung in Eigenregie.
Insbesondere sind die Anfälligkeit für Krankheiten und damit die Tierarztkosten signifikant anders. Außerdem fühlen sich die Pferde in Herdenhaltung unvergleichlich wohler als in Boxenhaltung, was sicherlich mit dem Krankenstand korreliert. In diesem Sinne würde ich Boxenhaltung durchaus vergleichen mit Einzelhaft bei Menschen, die ebenfalls "Herdentiere" sind, nämlich soziale Wesen, die auf entsprechenden Austausch angewiesen sind. Ich bin mir allerdings dessen bewußt, daß Boxenhaltung oftmals die einzige Alternative ist.
Puristen legen die Meßlatte für einen akzeptablen Offenstall sehr hoch. Nach meiner Erfahrung ist ein noch so primitiver (und damit kostengünstiger) Offenstall akzeptabel für die Pferde, wenngleich die Menschen sich möglicherweise dem Vorwurf der Tierquälerei aussetzen. Die Geschichte über den Tierarzt Dr. Frers ist in dieser Hinsicht sehr lehrreich. Viele wohlmeinende Spaziergänger schreien schon nach dem Tierschutzverein, wenn sie Pferde im Winter draußen sehen.
Im Ihrem Fall scheint das Pferd in diesem Stall eingegliedert zu sein und kann auch dort bleiben. Sie können sicherlich vom derzeitigen Besitzer und den anderen Reitern etwas über die bisherigen Kosten erfahren und mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß es sich in Zukunft ähnlich verhalten wird.
Schließlich gibt es Sonderfälle, wo Kosten in enormer Höhe anfallen (z.B. Operationen). Meines Erachtens muß man dort eine Entscheidung treffen. Bei uns Menschen wird vorgegaukelt, daß das Leben Vorrang hat und die Erhaltung des Lebens jeden Preis rechtfertigt. In der Praxis ist das allerdings nicht der Fall. Der Arzt wird einsam entscheiden, ob sich die Kosten "lohnen".
Oftmals wünschen auch die Angehörigen, daß das Leiden des Patienten ein Ende haben möge. Wir müssen alle sterben, und die Tatsache, daß wir Mittel und Wege haben, das Leben zu verlängern, bedeutet nicht automatisch, daß wir davon auch Gebrauch machen müssen. Wir Menschen werden uns dessen bewußt, daß wir auch ein Recht auf unseren eigenen Tod haben, denn unser Leben ist endlich - sterben müssen wir allemal, früher oder später.
Im Falle des Tieres muß der Mensch entscheiden, im Falle des Menschen kann der Mensch manchmal selbst entscheiden, manchmal müssen die Angehörigen entscheiden, manchmal der Arzt. Wenn der Tierarzt entscheidet, ist der Besitzer der Entscheidung enthoben. Indem Sie das Pferd erwerben, übernehmen Sie die Verantwortung für das Pferd, und damit auch gegebenenfalls die Entscheidung über Leben und Tod.
Wenn Sie diese Verantwortung nicht übernehmen können oder wollen, sollten Sie von dem Kauf Abstand nehmen und bei einer Reitbeteiligung bleiben.
Mit freundlichem Gruß und den besten Wünschen für glückliches Weihnachtsfest Werner Stürenburg
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