Im Zuge meiner Recherchen zum Thema "tief einstellen" bin ich auf ein Interview mit Bundestrainer Holger Schmezer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. August 2005 gestoßen (» "Da dreht sich einem der Magen um"). Damals gingen die Wogen hoch, weil die Niederländer in Aachen erstmals den Nationenpreis gewannen (» Wachablösung: Niederlande gewinnen Nationenpreis Dressur) und dadurch die unkonventionellen Trainingsmethoden des niederländischen Trainers Sjef Janssen in den Blickpunkt gerieten. Schmezer findet das "vorübergehende" tiefe Einstellen gar nicht problematisch, es sei noch nicht einmal neu.
Er hält die Arbeit von Anky van Grunsven auch nicht für Quälerei, weil deren Pferde schon in jungem Alter "in diese Form gebracht" wurden und dadurch die ganze Muskulatur auf diesen "Reitstil eingestellt" sei. Diesen Ansatz auf ein anders ausgebildetes Pferd anwenden zu wollen, sei Tierquälerei und würde im übrigen gar nicht funktionieren. Auf die Frage, ob er diese Trainingsmethode in Ordnung finde, antwortet er mit einem klaren "jein". So würde er es begrüßen, wenn die Holländer an dieser Methode festhalten würden, weil er negative Auswirkungen hinsichtlich deren Leistungsfähigkeit prophezeit und sich davon schlicht und einfach Vorteile verspricht.
Auf die Gegenfrage, wie Anky van Grunsven unter solchen Umständen so erfolgreich sein könne, weiß er nichts zu antworten, sondern schiebt die Schuld auf die Richter. Er würde ihre Leistungen deutlich niedriger bewerten. Die "Schaukel", mit der früher die Durchlässigkeit überprüft worden sei, ist abgeschafft worden. Ob er den Grund kenne? Dies sei ausdrücklich auf Betreiben von Sjef Janssen als Mitglied des internationalen Dressur-Ausschusses und Vorsitzenden des Trainerclubs geschehen. Erneut gestand er Anky van Grunsven zu, mit ihren Methoden verantwortlich umgehen zu können. Lediglich die Nachahmer würden Schaden anrichten. Erst als er auf entsprechende Bilder im Rahmen der Olympischen Spiele in Athen hingewiesen wurde, gab er zu:
| Ja. Da haben wir Bilder gesehen, wie Pferdenüstern wirklich über einen längeren Zeitraum tief auf die Brust gezogen waren, und da dreht sich einem der Magen um.
a.a.O. | | |
Diese Bilder habe man nicht nur von niederländischen Reitern gesehen, von denen zum Schluß aber nicht mehr. Er wird dann auf Isabell Werth und Martin Schaudt angesprochen, die ja in seinem Verantwortungsbereich liegen. Er kann sich nicht dazu durchringen, ein Statement abzugeben:
| Es liegt in der Natur der Sache, daß ein Pferd vorübergehend einmal bestraft und zur Räson gerufen werden muß. Wer kann einem erfahrenen Reiter belegen, daß er etwas falsch macht?
a.a.O. | | |
Donnerwetter: Der Bundestrainer bescheinigt, daß Pferde mit Strafen "erzogen" werden müssen! Das muß man sich mal richtig auf der Zunge zergehen lassen! Wie meint er das?
Konkret auf die betreffenden Pferde angesprochen, redet er sich mit Charakterfehlern heraus, mit anderen Worten: die Pferde sind selbst schuld und müssen so hart angefaßt werden. Wenn jemand "aus übertriebenem Ehrgeiz übertriebene Härte" ausübe, schreite er ein. Er habe allerdings wenig Möglichkeiten, einem erfahrenen Reiter Grenzen zu setzen. Mit anderen Worten: Die lassen sich von ihm nichts sagen. Gelegentlich regele sich so etwas in der Prüfung - etwa indem das Pferd sich verweigert?
Immerhin bescheinigt er beiden Reitern, mehrere Pferde in den großen Sport gebracht zu haben, und diese hätten "lange gehalten". Im übrigen sei es seine Aufgabe, Erfolge zu erzielen. Er könne Reiter, denen die Richter viele Punkte geben, nicht übergehen. Im übrigen könne er auch nicht behaupten, daß nur seine Vorstellungen die richtigen sind.
Da haben wir es wieder: Wer Erfolg hat, hat recht. Es dreht sich ihm der Magen um, und zwar nicht etwa, weil ganz normale Feld- und Wiesenreiter die Methoden der Weltmeister übernehmen, sondern die Bilder von Olympiateilnehmern findet er so entsetzlich. Aber dann ist alles gar nicht mehr so schlimm, und letzten Endes vielleicht sogar völlig in Ordnung. Ja was denn nun?
Wir schauen am besten alle nicht genau hin, das macht uns viel zufriedener. Im übrigen empfehle ich Ihnen, sich den Ritt der neuen Deutschen Meisterin der Berufsreiter Dressur als Video anzuschauen: » Siegerin Bianca Kasselmann mit Forum Zwei. Es geht alles so schnell, daß man so gut wie nichts erkennen kann. Erst Fotos zeigen, was wirklich passiert. Wenn ich richtig sehe, muß in vielen Fällen noch nicht einmal Druck auf die Zügel ausgeübt werden - zumindest nicht in der Prüfung. Die Pferde ziehen sich - zähneknirschend - von selbst zusammen. Warum wohl?
Quellen / Verweise
Fotos
› Werner Popken
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