| | | Gustav Steinbrecht (1808-1885) |  |  |  |
| | Dass der Reiter theoretisches Wissen allein schon dem Pferd, dem er sich zumutet schuldig ist, das hört man da und dort nicht gern und belächelt es. Man hört dann zum Beispiel: "Reiten lernt man nur durch Reiten". Ich weiß einen besseren Rat, und zwar den Spruch eines Reitmeisters des vergangenen Jahrhunderts, der der Sache näher kommt: "Reiten lernt man durch ein Drittel Lesen, ein Drittel Zusehen und ein Drittel Reiten". Deine und Deines Pferdes Ausbildung ist also eine recht zeitraubende Sache, das muss Dir klar sein, wenn Du Deine Ziele erreichen willst. Dazu ein Beispiel:
Dr. Josef Neckermann, einer der eindrucksvollsten Dressurreiter des vergangenen Jahrhunderts, war, wie Du sicher weißt, auch ein bedeutender Unternehmer und außerdem ein unvergessener Förderer des Sports, er gründete die Deutsche Sporthilfe, die er weitgehend managte und die noch heute besteht. Er war also ein Mann, der sich kaum Ruhe gönnte. Um für seine geliebte Dressurreiterei, bei der er außerdem ehrgeizige Ziele hatte, überhaupt Zeit zu finden, saß er meist in aller Herrgottsfrühe um fünf Uhr auf einem seiner Pferde. Aber nicht etwa um Entspannung zu finden, sondern um sich und seine Pferde auf große Ziele, wie zum Beispiel Weltmeisterschaften oder Olympische Dressurwettbewerbe vorzubereiten. An ihn habe ich oft gedacht, wenn mir mal die nötige Energie fehlte, um vor meinem beruflichen Arbeitsbeginn mit dem Fahrrad zu Pferd und Ziegenbock zu fahren, zu füttern und den Stall zu misten, danach noch mal nach Hause zu fahren, um dann ohne Stallparfüm und mit sauberen Händen in der Firma zu erscheinen. Wer wenig Geld, aber dennoch ein Pferd hat, der muss halt oft ausscheren aus dem Trott der Masse Mensch.
KLASSISCHE AUSBILDUNG - was versteht man darunter?
Heute versteht man unter klassischer Ausbildung vor allem die Überlieferungen des französischen Reitmeisters Robichon de la Guèrnière (bis 1751) und anderen europäischen Reitmeistern vergangener Jahrhunderte, die die heutige Reitweise grundlegend prägten. Ihre Lehren galten seinerzeit neben der höfischen Reiterei vor allem der Ausbildung von Soldatenpferden. Die Pferde an Fürsten- und Königshöfen sollten beeindrucken durch tänzerische Eleganz, durch außergewöhnliche Bewegungsabläufe und durch ein prunkvolles Auftreten.
Pferde hingegen, die in kriegerischen Auseinandersetzungen geritten wurden, mussten in besonderem Maß belastbar sein. Ihre Kraft, Wendigkeit, Schnelligkeit und ihr Gehorsam konnten über Leben und Tod ihrer Reiter entscheiden. Es ist selbstverständlich, dass ihre Ausbildung vor allem darauf abzielte, sie leistungsfähig zu machen und dabei gesund zu erhalten. Durch natürliche Gymnastik wurden ihre Muskeln, Gelenke, Sehnen und Bänder und die Kondition von Herz und Lunge über einen genügend langen Zeitraum hinweg zur vollen Leistungsfähigkeit gebracht. Das Pferd war ein kostbares �Kriegsgerät', dessen Gesundheit und Belastbarkeit so lange wie möglich erhalten bleiben sollte, um die Strapazen eines Feldzuges körperlich auszuhalten.
Mein Vater war Kavallerieoffizier in dem Regiment der �Jäger zu Pferde 3'. Er ging im ersten Weltkrieg mit zwei eigenen Pferden an die Front, mit ONKEL FRITZ und mit NEGER. Dazu kamen 2 Chargenpferde, das eine war ILLER, eine 5jährige Stute, die sein Bursche ritt. Alle vier Pferde und ihre beiden Reiter kamen 1918 nach 4 Jahren hartem Kriegseinsatz gesund zurück in die Garnison. ONKEL FRITZ war da schon 18 Jahre alt, wurde aber noch bei Vergleichsprüfungen des Militärs mit Erfolg geritten. Der um einige Jahre jüngere NEGER hingegen trat seinen Dienst als Reitlehrer und Beschützer meiner Mutter an!
Meine Mutter ritt, wie das damals üblich war, im Damensattel (oder im �Seitsitz', wie man auch sagt). Wenn mein Vater sie nicht begleiten konnte, übernahm NEGER bei ihren gelegentlichen Ritten in die Gefilde vor dem Kasernentor die volle Verantwortung für solche Unternehmungen, verlangte dafür aber auch die absolute Zurückhaltung meiner Mutter gegenüber seinen Entschlüssen. Die Strecke, die er wählte war, abgesehen von einigen kleinen Variationen ins Abseits, immer die gleiche. Er steuerte dabei bestimmte Rastplätze an, die er für gut befand. Meist waren das schon bekannte Stellen im Wald, wo es junge Triebe von Nadelhölzern gab (gesunder Magenbitter) oder schmackhafte Triebe von anderen Waldgehölzen (Genussmittel). Im Übrigen hatte er eine Uhr im Bauch, denn mit Abweichungen von höchstens fünf bis zehn Minuten kehrte er auf ihm genehmen Wegen und in von ihm gewählter Gangart zum heimatlichen Stall zurück. Nie hat meine Mutter erlebt, dass er sie in die geringste Gefahr brachte. Man muss dabei natürlich bedenken, dass es damals, kurz nach dem ersten Weltkrieg, noch kaum motorisierten Verkehr gab. Heute wären solche Unternehmungen eines wenig geschulten Reiters kaum möglich. Und man muss auch bedenken, dass dem Reiter solche Pferde wie der lebenserfahrene NEGER nur spärlich zur Verfügung stehen. Zurück zum Thema:
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