Selbstverständlich hat sich der Künstler für die verkürzte Ansicht entschieden. Das Durcheinander einer solchen Ansicht hat er bewußt entzerrt, um das Bild einfach und klar zu halten. Den Wagen konnte er durch dessen Länge und Höhe leichter glaubhaft ins Bild setzen, als wenn eine kleine und kurze Kutsche, wie sie bei heutigen Wettbewerben eingesetzt werden, hätte dargestellt werden müssen.
Das linke Stangenpferd ist überhaupt nicht abgebildet - es sind überhaupt nur drei Pferde zu sehen. Das fällt gar nicht auf. Die Pferde sind in ihrer Dynamik so wunderbar gestaltet, daß man dem Künstler die Lüge sofort abkauft.
Betrachten Sie einmal die drei Köpfe - jeder ist individuell gestaltet, der erste und der dritte haben durch ihre Haltung einen gewissen Bezug, wobei die Haltung aber keineswegs identisch ist.
Man könnte nun vermuten, daß irgendein Hinweis auf das vierte Pferd zwischen den Hinterbeinen der Vorderpferde zu identifizieren sein müßte, aber bei genauer Betrachtung stellt man fest, daß das nicht der Fall ist. Die Hinterbeine des rechten Vorderpferdes sind beide zu erkennen, wenngleich das eine perspektivisch nicht ganz korrekt erscheint.
Wenn die Andeutung der anderen Beine dem linken Stangenpferd gehören würden, hätte das linke Vorderpferd keine Hinterbeine. Überhaupt wird es in dieser Gegend ein wenig unklar. Das Auge stört sich aber nicht daran, es nimmt die Kunst als Kunst und nicht als Wahrheit und liest das Bild als Beschreibung: da hinten ist noch irgend etwas, was immer es ist, diese Einzelheiten interessieren nicht.
Das ist so ähnlich wie mit den Ohren oder Haaren oder sonstigen Einzelheiten - es muß nicht genau stimmen, es muß nur glaubhaft sein. Oder genauer gesagt: hinreichend glaubhaft, denn irgendwo ist eine Grenze, wo das Auge nicht mehr mitmacht und sich getäuscht fühlt.
Die Kunst besteht also darin, sich immer diesseits dieser Grenze zu bewegen. Gerade die Plakatkunst nutzt die Fähigkeit des Auges, Einzelheiten zu ergänzen. So kann man in verschiedener Hinsicht reduzieren: zum Beispiel hinsichtlich der Farben, der Einzelheiten, der Farbflächen usw.
Wir alle kennen Plakate, die lediglich aus schwarzen und weißen Farbflächen bestehen. Ein Schattenriß oder Scherenschnitt ist ein Spezialfall. Damit wird eine natürliche Situation nachgeahmt, denn wenn die Kontraste zu stark sind, die Sonne zu sehr brennt, dann sehen wir tatsächlich nur noch mit eingeschränktem Farbspektrum, und wenn zu wenig Licht da ist, dann können die Farben ganz verschwinden.
Das Farbspektrum bei diesem Bild ist übrigens ebenfalls stark eingeschränkt, was durch die Färbung der Pferde naheliegt. Lediglich die Fässer bringen Brauntöne ins Bild, die jedoch so gedeckt sind, daß sie nicht stören.
Ich konnte mich natürlich nicht zurückhalten und mußte die Komposition untersuchen. Wir sehen, daß der Goldene Schnitt in diesem Bild keine Rolle spielt, dafür aber die Halbierenden und Viertelungen eine desto größere, und zwar sowohl vertikal als auch horizontal. Auch die Diagonalen sind kaum wirksam, lediglich das Rad wird durch eine Diagonale betont.
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