Tomi Ungerer, Frankreich Petronella beim Zauberer Ausschnitt der Illustration auf Seite 72/73 Tomi Ungerer: Tomi Ungerers Märchenbuch Zürich 1975, Diogenes, Ausgabe 1979
Im Galeriebeitrag der letzten Woche ( Ronja) habe ich die Titelheldin mit der Heldin eines Märchens verglichen, das ich aus dem Märchenbuch von Tomi Ungerer kannte. Ich denke, ich bin Ihnen und Tomi Ungerer schuldig, daß ich auch dieses Märchen und die Kunst des Illustrators würdige.
Ich weiß nicht, ob Sie den Namen Tomi Ungerer schon einmal gehört haben, aber dieser Mann ist weltweit hochberühmt. Mir wurde er durch "Das große Liederbuch" Mitte der siebziger Jahre bekannt, ein wunderschönes Buch mit wunderschönen Liedern und wunderschönen Illustrationen.
Die Märchen sind alle alt, von den Brüdern Grimm oder Hans Christian Andersen, bis auf eines: Petronella. Es ist ein typisches modernes Märchen, wie es damals Mode war. Man schrieb ja auch die alten Märchen modern um; Tomi Ungerer hat in diesem Buch Rotkäppchen "überdacht und wiedergekäut".
| | | | Titelblatt Schutzumschlag | | | |
| | Tomi Ungerer, eigentlich Jean Thomas, 1931 in Straßburg geboren, war der vierte und jüngste Sohn. Sein Vater war Uhrmacher mit künstlerischen Ambitionen, seine Mutter stammte aus einer deutschen Industriellenfamilie.
Mit vier Jahren verliert er seinen Vater, die Familie zieht in ein Dorf bei Colmar. Nach der Kapitulation Frankreichs 1939 wird die Fabrik, die dem Hause Ungerers gegenüber liegt, in ein Gefangenenlager umgewandelt.
Tomi zeichnet unter anderem eine Verhaftung auf offener Straße durch deutsche Uniformierte. Im Winter 1944/45 erlebt Ungerer die dreimonatige Schlacht um den Brückenkopf von Colmar.
Nach dem Krieg wird das Elsaß wieder französisch, Elsässisch wird verboten. Ungerer ist in der Schule unangepaßt, bereist Europa, schließlich Amerika, heiratet dort im selben Jahr eine Amerikanerin; sechs Jahre später wird seine erste Tochter geboren.
Da ist er schon berühmt, unter der Schirmherrschaft von Willy Brandt wird in Berlin die erste große Ausstellung eröffnet. 1970 heiratet er zum zweiten Mal, verläßt New York und geht nach Kanada. 1971/72 engagiert sich Ungerer im Wahlkampf für die SPD. 1976 zieht er in ein Schloß nach Südirland, wo er weitere drei Kinder bekommt.
| | | | | Stelzenpferd über Stacheldrahthindernis | | | |
| | | | | Plakat Ausstellung DHM 2000 | | | |
| Ungerer arbeitet als Zeichner für Zeitschriften und Werbeagenturen und veröffentlicht Kinderbücher. 1975 erscheint bei Diogenes, wo fast alle Ungerer-Bücher erscheinen, "Das große Liederbuch", mit dem Ungerer einem großen Publikum bekannt wird. Die Zeichnungen sind biedermeierlich-heiter-besinnlich-harmlos-freundlich.
Daneben gibt es bittere Satire und beklemmende, unfrohe Erotik, die die sozialen Probleme der modernen Zeit auf den Punkt bringen. Das Spektrum seines Schaffens fasziniert die Öffentlichkeit immer wieder und scheint Rätsel aufzugeben; letztlich ist es aber doch erfreulich, einen Künstler von großer Bandbreite vor sich zu haben.
Tomi Ungerer ist weltweit vielfach ausgezeichnet worden, hat sich für Tierschutz und Umweltschutz engagiert, ist aber in seiner Grundhaltung als Beobachter realistisch und im Grunde genommen pessimistisch.
Die Kinderbücher faszinieren auch Erwachsene; man mag sogar manchmal fragen, ob sie Kindern kommentarlos gegeben werden können. Es zeigt sich doch der Satiriker, der Gesellschaftskritiker, der an der Menschheit Leidende. Ungerers Rotkäppchen ist nichts für Kinder.
Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat Tomi Ungerer im Jahr 2000 eine große » Ausstellung ausgerichtet, die dem Thema Frankreich/Deutschland gewidmet war. Dort findet man auch Fotos des Künstlers und ein Audio-Interview. Ungerer will in seinem Leben zwischen 30.000 und 40.000 Zeichnungen gemacht haben.
Kommentar · 26.01.2003 Von Werner Stürenburg
Petronella kommt nicht als verhunztes Märchen daher, sondern tut so, als sei es ein Märchen. Es spielt im Königreich der Himmelblauen Berge, wo seit vielen Generationen jeweils drei Prinzen geboren wurden, die immer Michael, Georg und Peter genannt wurden.
Die älteren beiden gingen dann stets irgendwie verloren, wenn sie sich auf die Suche nach ihrem Glück begaben, der jüngste rettete eine Prinzessin und beerbte seinen Vater.
Zur Zeit von König Peter dem Neunundzwanzigsten geschah jedoch ein Unglück: der dritte Prinz war ein Mädchen. Die Königin schaut auf dem Bild ganz schuldbewußt, der König bestürzt; verdrießlich beschließt er, daß sie Petronella heißen müsse - ansonsten müsse man abwarten.
Es kommt die Zeit, da die jungen Prinzen ihr Glück suchen wollen; Petronella will mit. Michael findet das unmöglich und meint, sie solle warten, bis ein Prinz vorbeikomme. Petronella läßt sich jedoch nicht beirren. Sie will ihren Prinzen selbst finden und retten; sie dreht also das übliche Rollenspiel einfach um.
Nach kurzer Zeit treffen sie einen alten Mann, der an einer Weggabelung sitzt. Natürlich soll er Auskunft geben, wohin die Straßen führen. Er beantwortet genau eine Frage; Petronella fragt ihn, ob sie ihm helfen kann, und erlöst ihn dadurch von seinem Schicksal. Er will ihr zum Dank alle Fragen beantworten; die einzige Frage, die Petronella bewegt, ist:
"Wo kann ich einen Prinzen finden?" | |
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