Die Beobachtungen im einzelnen (a.a.O., Seite 168):
| | | Skeptisch: Pferdemädchen aus dem Reitverein | | | |
| | [...] Nicht das Interesse am Reiten zog die Mädchen in die Ställe, sondern ihre Liebe zum Pferd, und hierbei war ein Motiv dominierend: der Wunsch, ein Pferd zu umsorgen. Es zu füttern, zu putzen, auszuführen, seinen Stall auszumisten, ihm zuzureden, das sind die Tätigkeiten, die den Mädchen am Herzen liegen. Der Pferdevernarrtheit liegt eine Bindungsmotivation zugrunde: Das Pferd ist ein geliebter, unersetzbarer Partner; es vermittelt Sicherheit, Geborgenheit und Trost; die Beziehung zum Pferd wird als einzigartig, gegenseitig und "für immer" erlebt; das eigene Pferd wird idealisiert; die Nähe zum Pferd wird angestrebt - die Mädchen wollen ganz nah beim Pferd wohnen, viele sogar direkt im Stall. Das Pferd ist das größte und letzte Kuscheltier, denn es markiert einen Übergang im Leben des Mädchens, und zwar von der Herkunftsfamilie mit der Bindung an die Mutter zur eigenen Fortpflanzungsfamilie mit der Bindung an einen Mann. Das Pferd ist ein Übergangsobjekt zwischen Puppe und Partner. Auffällig ist nämlich, daß die totale Schwärmerei für das Pferd innerhalb kurzer Zeit schwindet, sobald die erste echte Liebe auftaucht. Nach der Pubertät, also mit etwa 15 bis 17 Jahren, hört bei den meisten Mädchen das Interesse für das Pferd auf, es sei denn, der neue Freund reitet zufälligerweise auch.
Neben diesem Bindungscharakter mit dem dominierenden Fürsorgemotiv gibt es noch einige weitere Gründe für die Neigung zum Pferd. Die Mädchen suchen ein unverfälschtes Naturerlebnis, das sie sich auf dem Reiterhof und bei Ausritten erfüllen können. Der Umgang mit dem Pferd erfordert disziplinierende Stärke, Kompetenz und Sachkunde und fördert so die Selbstwirksamkeit und Durchsetzungsfähigkeit der jungen Reiterin. Das Pferd vermittelt Sicherheit durch die erhöhte Sitzposition und eine schnelle Fluchtmöglichkeit. Auf dem Rücken des Pferdes können die Mädchen Abenteuer erleben, in die fremde Welt hinausreiten oder zumindest davon träumen.
Das Pferd bietet noch weitere Qualitäten für junge Frauen. Frauen drücken ihre Zuneigung, viel mehr als Männer, durch Berührung aus, und Pferde haben ein warmes, weiches, seidiges Fell. Frauen wollen mit dem geliebten Partner, wiederum mehr als Männer, ausgiebig reden, und das Pferd ist ein geduldiger Zuhörer. Reiten ist eine angesehene Sportart; die Mädchen reiten sozusagen höhere Schichten hinein. Und schließlich ist Reiten nicht mehr männlich dominiert, denn die Männer sind auf motorisierte Fortbewegungsmittel umgestiegen.
So ist das Interesse von Jungen an Pferden anders konturiert. Jungen lieben Wettkämpfe aller Art, und so wollen Jungen, wenn sie reiten, dies am liebsten so tun wie Cowboys und Indianer oder wie mutige Ritter. Pferdepflege ist ihnen nur lästige Pflicht. Wenn sie in Reitvereinen sind, arbeiten sie auf Turniere hin, woran Mädchen weniger Interesse haben, es sei denn an einem Schönheitswettbewerb mit dem Pferd. Mädchen erfüllen sich Pflege, Freizeit- und Naturinteressen beim Reiten. Für Jungen ist das Pferd eher ein Sportgerät als ein geliebter und vertrauter Partner. | | |
Diese Thesen mögen provozierend klingen; mich haben Sie an die Beschreibung meiner Tochter anläßlich des Projekts mit Mädchen einer Sonderschule erinnert ( Projektwoche Pferd); dort war unter anderem aufgefallen, daß sich kein einziger Junge gemeldet hatte. Trotzdem ist Vorsicht angesagt: es schreibt ein Mann. Die Ergebnisse, die Schlüsse, die Präsentation könnte geschlechtsspezifisch gefärbt sein. Ich bin sicher, die Leserinnen werden korrigierend eingreifen.
In der nächsten Woche werde ich weitere Beobachtungen anführen, die den geschlechtsspezifischen Umgang mit dem Pferd am Beispiel meiner Erlebnisse beim Pfingstturnier der Westernreiter in Löhne illustrieren.
Ich konnte mich bereits bei meinem ersten Entwurf nicht enthalten, in diesem Zusammenhang das Wort Motorrad zu gebrauchen. Ich war also schon auf der richtigen Spur. Was hat Motorradfahren mit Reiten zu tun?
Quellen
- Hohenzollernbrücke, Galeriebeitrag
- Reiten auf Reiterhöfen und im Verein, Vom Naturerlebnis bis zum Kleinen Reitabzeichen
- » EWU
- Deutschland geht Western, EWU-Ehrenpräsident Rolf Diekwisch erzählt, Sonderausgabe
- ... so frei, so stark ..., Westfalens wilde Pferde, Rezension
- Horse Feelings,Die Welt der Pferde - Frei, Geheimnisvoll, Faszinierend, Rezension
- Wilde Pferde, Leben in Freiheit, Rezension
- Stuten und Sex, Tipp
- Dominanz, Tipp
- Projektwoche Pferd, Arbeit mit Schülern einer Sonderschule, Hauptartikel
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Abbildungen © Gerd Hebrang
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