| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | 18.05.2008
W�rde der Kreatur
Die Schweiz ist Vorreiter in Sachen Tierschutz. Vor drei Jahren wurde ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet, das jetzt mehr und mehr ausgestaltet wird. Eine Nachricht war es wert, den Sprung in die Nachrichten der Medien zu schaffen: � Haustierhaltung nur noch im Doppelpack.
Gemeint ist damit, da� soziale Tiere (wozu bekanntlich auch die Pferde geh�ren) nicht mehr einzeln gehalten werden d�rfen. Es reicht also nicht mehr, eine Ziege als "Beistellpferd" anzuschaffen (es soll sogar Leute geben, die selbst diese Ausgabe scheuen).
Dabei haben die Schweizer in Einzelf�llen s�mtliche Konsequenzen bedacht. Was ein Pferdehalter tun soll, der sich zwei Pferde nicht leisten kann, liegt auf der Hand: er mu� sein Pferd in eine Pension geben. Wer ein Meerschweinchen h�lt und sich kein zweites leisten kann, soll ein solches kostenlos vom Z�chter gestellt bekommen, an den das Zweittier zur�ckgeht, wenn das erste stirbt und der Besitzer die Haltung aufgeben will.
�bergangsfristen
Nat�rlich wird nicht alles so hei� gegessen, wie es gekocht wird. So hielt sich der Protest auch in Grenzen, die neuen Vorschriften sto�en �berwiegend auf Zustimmung. Die Anbindehaltung f�r Pferde etwa wird erst in f�nf Jahren verboten sein, obwohl sch�tzungsweise h�chstens f�nf Prozent der Pferde betroffen sind. Auch die Doppelpack-Regelung tritt erst im Jahr 2013 in Kraft (� Pferde: Was sich mit der neuen Tierschutzgesetzgebung �ndert!.
Pferde brauchen Bewegung, viel Bewegung, stellen die Beh�rden fest und verlangen deshalb einen t�glichen Auslauf oder Ausritt. Pferde, die nicht genutzt werden - darunter fallen auch Zuchtstuten, Fohlen und Jungpferde - m�ssen t�glich mindestens zwei Stunden lang freien Auslauf haben, wobei die Fl�che mindestens 150 Quadratmeter betragen mu�. Wer diese und alle anderen Vorschriften kontrolliert, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Wie es aussieht, bleibt es den Tierhaltern �berlassen, die Normvorstellungen umzusetzen. Solange sich niemand beschwert, wird sich also nichts �ndern.
Rechtsmittel
Mit diesen Regelungen ist allerdings ein Rahmen geschaffen worden, innerhalb dessen die Beh�rden und der Staat agieren k�nnen. Es geht ja nicht nur um die Privatleute, sondern auch um die professionellen Tierhalter.
| "Was g�be ich daf�r, im Tierschutz Ihre weit reichenden Regularien zu haben!" schreibt Daniela T�rnau, Amtstier�rztin von Rotenburg/W�mme, auf der Homepage des Schweizer Bundesamts f�r Veterin�rwesen. "Als Amtstier�rztin in Deutschland kann ich immer nur staunend und voller Neid auf die Schweiz blicken. Leider bin ich nicht der Lage, Meerschweinchen aus Einzelhaft zu befreien und Wellensittichen einen Partner zu organisieren, und selbst beim Pferd ist es mir nicht immer m�glich, daf�r zu sorgen, dass es nicht allein oder nur mit Weidepartnern einer anderen Art gehalten wird. Ich w�rde mir Ihre Gesetze auch f�r die Bundesrepublik Deutschland w�nschen, es w�rde uns viel Arbeit erleichtern."
� a.a.O. | | |
Zwar stammt diese Information vom 14. Mai und ist also gerade vier Tage alt, trotzdem l��t sich die Behauptung nicht verifizieren. M�glicherweise hat die Amtsperson, die sich auf diese Art und Weise �ffentlich ge�u�ert hat, kalte F��e bekommen und die Streichung der betreffenden �u�erung bewirkt.
Was hindert uns daran, uns in dieser Angelegenheit ein Vorbild an der Schweiz zu nehmen und unser Tierschutzgesetz entsprechend weiterzuentwickeln? Zwar bef�rchten manche Tierhalter wirtschaftliche Nachteile, die Schweizer Beh�rden sehen das aber gerade anders:
| F�r Marcel Falk vom Bundesamt f�r Veterin�rwesen ist genau dies kein Widerspruch: "Tierschutz ist ein Verkaufsargument, wenn die M�rkte sich �ffnen." Heimtiere, Nutztiere oder Wildtiere � die neue Schweizer Tierschutzverordnung ist umfassend. Trotzdem geht sie Tiersch�tzern nicht weit genug. Sie beanstanden lange �bergangsfristen: Die Bauern d�rfen Schafe noch bis 2018 anbinden.
� a.a.O. | | |
Zwangsausbildung
Auch hierzulande gibt es schon einen � Hundef�hrerschein, aber in der Schweiz ist er ab sofort Vorschrift, wenn man sich einen neuen Hund zulegt. Dabei spielt es keine Rolle, wie viel Erfahrung mit Hunden man schon hat. Auch f�r alle anderen Tierarten sollen sachgerechte Informationen systematisch vermittelt werden. Bei Pferden wird ab f�nf Tieren ein Sachkundeausweis verlangt, und wenn man gewerbsm��ig mehr als elf Pferde h�lt, mu� man eine Ausbildung mit einem theoretischen und praktischen Teil absolvieren.
Diese Forderungen sind bestimmt nicht unbillig und auch f�r die Tierhalter segensreich - viele unsch�ne Situationen und Begebenheiten entstehen sicher nur aus Unkenntnis und nicht etwa aus b�sem Willen. Wenn nun solche Informationen erworben werden m�ssen, mu� ein entsprechendes Angebot geschaffen werden. Das schafft sogar Arbeitspl�tze. Die Inhalte und Ziele der entsprechenden Ausbildungen sind allerdings noch nicht ausformuliert. Bis zum 11. Juni gibt es noch Anh�rungen, danach informiert die Beh�rde �ber ihre Internetpr�senz.
Konsequenzen
Wenn man sich einmal in diese Richtung bewegt, wird eine Dynamik entfesselt, der man sich nicht entziehen kann. Sobald man anerkennt, da� Pferde soziale Wesen sind, die aus der kargen Steppe kommen und ein starkes Bewegungsbed�rfnis haben, kann man die entsprechenden Schl�sse schlecht abwehren. Wir haben oben schon erw�hnt, da� Pferde t�glich Bewegung haben m�ssen, wobei es so schien, als k�nne man alternativ zwischen freiem Auslauf und Bewegung durch Nutzung w�hlen. Die Einzelboxhaltung unserer extrem teuren Sportpferde w�rde bei dieser Lesart also durchaus beibehalten werden k�nnen. Nichts m��te sich �ndern, denn diese Pferde werden ja t�glich "gearbeitet" und "bewegt", wenn schon nicht durch Menschenhand, so doch durch Maschinen.
Die Schweizer erkennen aber das Dilemma:
| Die mit der Aufstallung verbundene Bewegungseinschr�nkung ist deshalb f�r das Pferd schwerwiegend. Um trotzdem gesund zu bleiben, sollen alle Pferde m�glichst oft freie Bewegung haben. […] Unter freier Bewegung ist eine selbstbestimmte Bewegung im Freien zu verstehen. Auch der Gebrauch durch den Menschen (reiten, fahren) oder das F�hren an der Hand rsp. in der F�hrmaschine verschaffen dem Pferd Bewegung. Doch nur bei der freien Bewegung kann das Pferd nach eigenem Willen erkunden und sein Bewegungsbed�rfnis sowie sein Komfort- und Sozialverhalten voll ausleben. Deshalb sollen sich auch ausgewachsene Pferde, die genutzt werden, an mindestens 13 Tagen des Monats frei bewegen k�nnen.
� Pferde richtig halten | | |
So genau wird hier gerechnet: 13 Tage im Monat, nicht mehr und nicht weniger! Damit k�nnen sich die Besitzer nicht mehr herausreden: Der goldene K�fig ist pass�.
Berichtspflicht
Allerdings mu� man wegen der endg�ltigen Formulierung noch ein bi�chen Geduld haben; an anderer Stelle schreibt das Bundesamt f�r Veterin�rwesen:
| Pferde m�ssen sich t�glich ausreichend bewegen k�nnen - sei dies im Auslauf mit freier, ungehinderter Bewegung im Freien oder in Form einer Nutzung als Reit- oder Arbeitstiere. F�hrende Stuten und ihre Fohlen sowie Jungpferde oder andere, nicht genutzte Pferde, m�ssen t�glich w�hrend mindestens 2 Stunden Auslauf haben. Genutzte Pferde m�ssen zudem an mindestens zwei Tagen pro Woche mindestens je zwei Stunden Auslauf erhalten.
Auslauf und Weiden m�ssen durch einen gut sichtbaren, ausbruchssicheren Zaun begrenzt werden. Die Pferde d�rfen sich daran nicht verletzen k�nnen - so darf Stacheldraht f�r Pferdez�une und -gehege nicht verwendet werden.
Der Auslauf der Pferde muss in einem Journal eingetragen werden.
Dauernd im Freien gehaltene Pferde werden, m�ssen Zugang zu einem Witterungsschutz, einem trockener Liegeplatz, einem ausreichendem und qualitativ guten Futterangebot und frischem Trinkwasser haben. Ebenfalls wichtig sind eine gute Bodenqualit�t (nicht morastig, nicht erheblich mit Kot oder Urin verunreinigt) und eine regelm�ssige �berwachung der Tiere.
�bergangsfristen:
- Das Verbot der Anbindehaltung gilt ab 2013.
- Die neue Vorschriften f�r den Auslauf gelten ebenfalls ab 2013.
- Das Verbot von Stacheldraht gilt ab 2010.
� Bewegen | | |
Ungeachtet der �bergangsfristen finde ich interessant, da� der Auslauf der Pferde schriftlich dokumentiert werden mu�. Nun ist Papier geduldig, entsprechende Aufzeichnungen k�nnen beliebig gef�lscht werden. Das wissen die Schweizer sicher auch. Es ist vermutlich wie mit den Verkehrsregeln: Man mu� sie kennen, man soll sie einhalten, nicht jeder Versto� kann geahndet werden, aber im gro�en und ganzen funktioniert das System.
Eingriffe und Verbote
| Wie andere Tiere d�rfen Pferde nicht misshandelt oder unn�tig �beranstrengt werden.
Ausdr�cklich verboten sind:
- Das Verabreichen von Stoffen und Erzeugnissen zum Zweck der Leistungsbeeinflussung (Doping),
- sexuell motivierte Handlungen mit Tieren,
- das Kupieren der Schwanzr�be,
- das Erzeugen einer unnat�rlichen Hufstellung, das Verwenden sch�dlicher Hufbeschl�ge und das Anbringen von Gewichten im Hufbereich,
- das Antreiben oder Bestrafen mit elektrisierenden Ger�ten,
- der sportliche Einsatz von Pferden mit durchtrennten oder unempfindlich gemachten Beinnerven, mit �berempfindlich gemachter Haut oder mit anderen schmerzverursachenden Hilfsmitteln,
- das Entfernen der Tasthaare (Tasthaare sind Sinnesorgane!)
- das Anbinden der Zunge.
� Eingriffe und Verbote | | |
Es bleiben immer noch gen�gend Fragen im einzelnen (Was darf als "sch�dlicher Hufbeschlag" gelten?), aber einige Vorschriften k�nnen schon als echter Fortschritt gewertet werden, etwa die Feststellung, da� Schmerzausschaltung bei Lahmheiten den sportliche Einsatz ausschlie�en. Es ist ein Anfang und ein ermutigendes Zeichen. Ich bin mir sicher, da� die EU sich nun nicht lumpen lassen kann und nachziehen mu�, was dann bekanntlich in s�mtlichen Mitgliedsl�ndern umgesetzt werden wird. Es ist alles nur eine Frage der Zeit.
W�rde der Kreatur
Der Generaltitel dieses Editorials mu� noch erl�utert werden: Die Schweizer bleiben n�mlich nicht bei den Tieren stehen, sondern haben sich auch Gedanken bez�glich der Pflanzen gemacht: Bravo! Auch Pflanzen sind Lebewesen
| Dem Staatsauftrag Tierschutz (Art. 80 der Bundesverfassung; BV) wird seit 1992 durch den ebenfalls auf Verfassungsebene gew�hrten Schutz der kreat�rlichen W�rde zus�tzliches Gewicht verliehen. Unter dem Titel "Gentechnologie im Ausserhumanbereich" schreibt die Bundesverfassung dem Gesetzgeber in Art. 120 Abs. 2 vor, Bestimmungen �ber den Umgang mit dem Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen zu erlassen, und dabei auch der W�rde der Kreatur Rechnung zu tragen. Der Begriff geht auf den d�nischen Philosophen Lauritz Smith (1791) und den Basler Theologen Karl Barth zur�ck, der 1945 die Ansicht vertrat, dass Tieren eine eigene und sch�tzenswerte W�rde zuk�me. Nachdem der Kanton Aargau 1980 eine entsprechende Bestimmung in seine Verfassung aufnahm (� 14), fand das Anliegen auf tier- und umweltsch�tzerischen Druck hin zw�lf Jahre sp�ter auch auf eidgen�ssischer Ebene Zustimmung und Eingang in das Regelwerk des Bundes. 1992 wurde die Vorlage �ber den Schutz der kreat�rlichen W�rde von rund drei Vierteln der Stimmenden sowie mit Ausnahme des Kantons Wallis von allen St�nden angenommen und als Art. 24novies Abs. 3 - dem heutigen Art. 120 Abs. 2 - in die Bundesverfassung eingef�gt.
� W�rde der Kreatur | | |
An dieser verfassungsrechtlichen Revolution kann man die Dynamik des Faktischen gut studieren:
| Die vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe aus Biologen, Philosophen, Theologen, Medizinern, Biologen und einem Juristen untersuchte die "W�rde der Kreatur bei Pflanzen". Vor gut drei Wochen legte die Kommission ihren Bericht vor. Ihr Fazit: Sie bejaht die W�rde der Kreatur bei Pflanzen und fordert die "moralische Ber�cksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst Willen (sic!)". Als einziges Land der Welt gesteht die Schweizer Bundesverfassung allen Kreaturen, Tieren wie Pflanzen, eine W�rde zu, die zu achten sei.
� Haustierhaltung nur noch im Doppelpack | | |
Das sind Feinheiten und Konsequenzen, die sich aus der Schlagzeile nicht unbedingt erschlie�en. Zum Schlu�: Die Schweizer Tierfreunde haben auch Humor: � Tierwitze
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