
| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | 13.03.2005
Fotoflut
Es ist noch gar nicht so lange her, daß ich mir eine Digitalkamera zugelegt habe. Viele Monate hat es gedauert, bis ich damit einigermaßen umgehen konnte. Vermutlich hat es damals bei der Analogfotografie ebenso lange gedauert, aber das ist schon so lange her. Die Vertrautheit, die flüssige Arbeitsweise, die ich von der Analogfotografie her gewohnt war, mußte ich mir mit der neuen Kamera erst einmal mühsam erarbeiten.
Meine Analogausrüstung, mit der ich 30 Jahre lang zufrieden gearbeitet habe, liegt seither im Schrank. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, daß ich diese guten Werkzeuge noch einmal anfassen werde. Für mich ist der Übergang zum Digitalzeitalter vollzogen.
Damit stellt sich das Fotografieren nämlich völlig neu dar. Eine der faszinierendsten Eigenschaften der digitale Fotografie ist der Kostenfaktor. Natürlich fallen Kosten für den Apparat als solchen an, und Papierbilder kosten ebenfalls, in der Regel sogar mehr als für Analogmaterial. Sofern man die Bilder aber nur digital verwendet, ist die ganze Geschichte kostenlos - nicht ganz, denn im Prinzip müßte man auch den verbrauchten Festplattenplatz bzw. die CD es berechnen, auf die man die Bilder auslagert, aber diese Kosten kann man normalerweise vernachlässigen. Grundsätzlich sind die Kosten wesentlich geringer.
Dieser offensichtliche Sachverhalt erlaubt es nun den Amateuren, zu denen ich mich zähle, wie die Profis zu arbeiten, für die das Material nicht zählt, weil der Kunde dafür aufkommen muß bzw. der Aufwand bereits im Honorar mit eingerechnet ist. Zwar gab es immer Fotografen, die lange gewartet haben, bis sie im richtigen Moment abdrücken konnten, aber grundsätzlich war der im Vorteil, der mehr Fotos machen konnte, weil die Chance, daß das sensationelle Foto dabei ist, sich wesentlich verbesserte.
In dieser Ausgabe veröffentliche ich sieben Bildschirmschoner und einen Haufen Postkarten aus dem Material, das ich von der Equitana 2005 mitgebracht habe. Damit habe ich nur etwa 20% ausgewertet - viel Arbeit liegt also noch vor mir. Mit etwa 2500 Bildern bin ich aber noch gut bedient - Thomas Schneider, dessen Bildband über die Equitana 2003 ich in dieser Ausgabe bespreche (› Das Premium Buch I), hat etwa zehnmal soviel Bilder geschossen!
Da er nun eine wesentlich bessere Ausrüstung besitzt als ich und wesentlich mehr Erfahrung hat, ist die Ausbeute natürlich eine ganz andere. So macht der Beruf Spaß! Aber trotzdem darf man nicht verkennen, daß es sich um harte Arbeit handelt. Bei der Hop Top Show habe ich fast 2000 mal bewußt abgedrückt, den Ausschnitt eingestellt, die Entfernung kontrolliert. Nur wenn die Bilder gewechselt wurden, konnte ich kurz Luft holen und mich entspannen.
Da Fotografie aber schon seit langem für jedermann erschwinglich und handhabbar ist, nimmt diese Bilderflut auf breiter Front zu. Schon zu Zeiten der Analogfotografie stieg die Bilderflut immer mehr an. Durch die Digital-Fotografie erreichen wir völlig neue Dimensionen. Immer mehr Menschen machen immer mehr Fotos. Nun liegt es in der Natur der Sache, daß manche Fotos besser und manche schlechter sind. Und wer die schlechteren Fotos macht, möchte gerne bessere Fotos machen. Wie das geht? Ganz einfach! Durch Lernen am Objekt, durch Vergleich.
Die Qualität eines Bildes ist nämlich mit Worten gar nicht einfach zu beschreiben, kann aber über das Auge unmittelbar wahrgenommen werden. Freilich muß das Auge dazu geschult werden. Qualitätswahrnehmung ist eine Frage der Erfahrung. Je mehr Bilder man sieht, desto anspruchsvoller wird das Auge und desto eher wendet es sich von schwachen Fotos ab, desto mehr wächst die Faszination, die gute Fotos auslösen. Diese Entwicklung ist im Grunde unvermeidlich. Die einzige Voraussetzung ist ein hinreichendes Interesse.
Manch einer hat diesen Vorgang am Beispiel der Musik erlebt. Man kann sich von Musik berieseln lassen und wird dann seinen Geschmack kaum verbessern können. Hört man aber hin, stellt man fest, daß man bestimmte Sachen bald nicht mehr hören kann, während andere, die möglicherweise zunächst schwierig erschienen, immer interessanter und faszinierender wirken. Um den Musikgeschmack zu bilden, muß man also genau hinhören.
Für die Fotoästhetik hat sich das Internet als interessantes Medium herausgestellt. Tonnenweise werden Digitalfotos ins Internet gestellt und von Gleichgesinnten diskutiert. Die Folge: Eine Sensibilisierung und Qualitätssteigerung. Noch nie wurden so viele so gute Fotos veröffentlicht. Und jeder kann jederzeit auf diesen Zug aufspringen. Die Folgen dieser technologischen Entwicklung sind noch gar nicht absehbar. Interessante Zeiten!
Als ich neulich mal in einem solchen Forum stöberte, stieß ich auf ein historisches Foto, wo ein Kind auf einer Miniatur-Wagonette saß, die mit zwei Ziegen bespannt war. Im Pferdemuseum im Marstall des Schlosses Bückeburg hatte ich ein Geschirr aus fürstlichem Besitz fotografiert, das für Ziegen bestimmt war. Nun sah ich das Foto, das im Museum fehlte.
In diesem Fall war ein historisches Foto eingescannt worden und konnte dadurch im Internet veröffentlicht werden. Die Vergangenheit ist auf diese Weise ebenfalls ins Blickfeld gerückt. Wie wäre es sonst möglich, Einsicht in solches Material zu bekommen? Die Frage ist nur, wie man sich in dieser Bilderflut zurechtfinden soll, denn schließlich hat sich unsere Lebenszeit nicht wesentlich verlängert. Keiner kann sich alle Bilder anschauen, alle Bücher lesen, alle Pferdefestivals besuchen, alle Pferdegalas genießen.
Die Lösung liegt auf der Hand. So wie früher auch nimmt jeder nur einen ganz kleinen Ausschnitt aus der Wirklichkeit mit. Jeder lebt in seiner eigenen Welt, in der er nur ganz wenige Menschen persönlich kennt, von einigen mehr etwas weiß, aber die meisten werden ihm vollkommen unbekannt bleiben, selbst wenn sie im selben Ort wohnen oder in derselben Firma arbeiten - die Firma muß nur groß genug sein. Dieses eigene Leben sinnvoll und befriedigend zu gestalten, ist nach wie vor die Aufgabe. Dafür kann man die Technik benutzen, muß es aber nicht. Manch einer sitzt lieber auf dem Pferd, und da hat er auch recht. Der eine reitet, der andere fotografiert, der dritte schaut. Jedem das Seine.

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