 | | | Der Inbegriff des Reiters |  |  |  |
| | Auch der Reiter ist nicht ganz nackt. Nacktheit in der Kunst hat im Regelfall nichts mit Schlüpfrigkeit oder Erotik zu tun, jedenfalls nicht vordergründig, sondern mit Ehrlichkeit, Unverstelltheit, Präsenz, Unmittelbarkeit.
Nackt treten wir vor unseren Schöpfer, der Bettler ebenso wie der Papst oder der Kaiser. Gesellschaftliche Positionen, Insignien der Macht fallen weg. Stellen Sie sich einmal Kaiser Wilhelm nackt auf dem Pferd vor! Unmöglich.
Dies hier ist also der Mann oder besser der Jüngling, der junge Mann, der Hoffnungsträger, Stütze der Frauen und der Gesellschaft, in sich ruhend, selbstsicher, verläßlich, noch ungeschlagen vom Schicksal, vertrauensvoll in die Zukunft blickend, sympathisch, schön.
Bis auf den Hut ist dieser Mann nackt. Und nun frage ich Sie: Wie sitzt ein nackter Mann auf dem Pferd? Na? Genau! Er breitet seine Geschlechtsteile vor sich aus - wie sollte es anders sein? Und das muß nun unser Bildhauer darstellen.
Leider hat man vom Betrachterstandpunkt aus etwas Schwierigkeiten, die Schätze zu entdecken. Ich wünschte, ich hätte eine Leiter dabeigehabt, dann hätte ich ein überzeugenderes Foto machen können.
Immerhin präsentiert uns Hahn keinen Penis, der eines Vorschulknaben würdig wäre, wie das die Renaissancekünstler in der Nachahmung der griechischen Vorbilder zu tun pflegten. Aber die waren ja auch pädophil. Das war inzwischen etwas aus der Mode gekommen.
Bei nächster Gelegenheit muß ich mir einmal systematisch die Geschlechtsteile männlicher Pferde anschauen. Sehen die wirklich so menschlich aus wie bei Hermann Hahn?
Aber dann muß ich mich natürlich auch fragen: wie sehen eigentlich menschliche männliche Geschlechtsteile aus? Die sind ja auch nicht am Fließband produziert, sondern höchst individuell, keines wie das andere, und dazu noch veränderlich. Vielleicht sollte ich also Hermann Hahn glauben und annehmen, daß Pferdeschläuche auch so aussehen können, wie er das dargestellt hat.
Soweit ist die Skulptur ganz überzeugend - abgesehen davon, daß die Anleihe bei der Antike willkürlich, unpassend und kompensatorisch ist und daher diesen merkwürdigen Eindruck hinterläßt, als stimme hier irgend etwas nicht. Genau: gut gelogen! Dieser Figur fehlt die innere Überzeugungskraft, die Aussage, die Notwendigkeit.
Es ist ein hohles Machwerk, technisch meisterhaft, ohne Fehl und Tadel und leider auch ohne Sinn. Hier täuscht jemand etwas vor, was einfach nicht ist. Da möchte einer gern eine hohe Botschaft rüberbringen, kann aber nicht, weil er keine hat.
Wie sagt der Laie so schön? "Was will der Künstler uns sagen?" Genau. Kunst überdauert die Jahrhunderte, wenn sich darin die tiefe Botschaft einer Seele offenbart. Dann spricht diese nämlich zur Seele des Betrachters und ein lebendiger Austausch findet statt.
Um Himmels willen! Was ist denn nun die Seele? Es ist schon sehr lange her, da habe ich in einem Buch fünf Meisterwerke betrachtet, die auf einer Doppelseite abgebildet waren. Es handelte sich ausschließlich um Madonnenbilder, Muttergottes mit Jesuskind, immer dieselbe Komposition, Meisterwerke aus etwa derselben Zeit von verschiedenen Malern.
Eines dieser Bilder sprach zu mir, alle anderen waren nur sehr gut, Meisterwerke eben. Und da fragte ich mich: Was ist der Unterschied zwischen diesem Bild und den anderen? Formal war kein Unterschied zu entdecken. Und dann kam mir ein Gefühl: "Dieses Bild wurde nicht mit Meisterschaft, sondern mit Herzblut gemalt."
Hermann Hahn läßt nicht erkennen, was er mit diesem Reiter und mit diesem Pferd zu tun hat. Möglicherweise gar nichts. Eine Auftragsarbeit vermutlich. Kein Problem für einen Meister.
Noch etwas paßt nicht: der Hut. Es ist vollkommen unklar, aus welchem Material dieser Hut gemacht ist und wie er sich auf dem Kopf hält. Für mich wirkt er weder antik noch modern. Am ehesten noch assoziiere ich einen Stahlhelm. Ohne Hut wäre die Figur vermutlich viel überzeugender. Aber bestimmt hat sich der Künstler etwas dabei gedacht.
Quelle / Verweis
Fotos © › Gerd Hebrang
| |