
| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | | Meine Meinung zu dem Buch: von › Werner Popken
Wieder einmal ein Buch aus England. Der Herausgeber ist seit vielen Jahren "Betreuer englischer Nationalmannschaften in Dressur, Springen und Vielseitigkeit bei internationalen Turnieren und den olympischen Spielen. Sitz im Tierärzte-Komitee der FEI."
Der Mann müßte es eigentlich wissen. Oder etwa nicht? Aber er ist nur verantwortlich für eins von zwölf Kapiteln: DAS TURNIERPFERD. Natürlich, das ist sein Spezialgebiet. Schließlich ist er nur Herausgeber, er müßte nicht einmal selbst dazu beitragen. Zweiundzwanzig Experten für zwölf Kapitel, das muß doch etwas werden. Oder nicht?
Projektleiterin ist Jackie Budd (siehe Rezension Pferde besser verstehen), Autorin von über zehn Pferdebüchern, die für die Infokästen "Auf einen Blick" verantwortlich zeichnet. Zwölf der Experten sind Tierärzte, darunter ein international anerkannte Experte für homöopathische Pferdemedizin, Gründungsmitglied der britischen Assoziation für Veterinär-Homöopathie, der sich auch eingehend mit Akupunktur beschäftigt.
Da will ich jetzt mal einsteigen. Christopher Day ist verantwortlich für das Kapitel 11: Alternativer Heilmethoden (Einführung; Kräutermedizin; Homöopathie; Akupunktur). Die Abschnitte Physiotherapie und Massage und Chiropraktik wurden von entsprechenden Praktikantern betreut. Die Einleitung in das Kapitel ist relativ umfangreich und zunächst vielversprechend.
Eingangs wird der Begriff Holistik erläutert, der von einem gewissen Jan Smuts (1870-1950) um die Jahrhundertwende geprägt wurde. Damit wird die Tatsache bezeichnet, daß wir in einer Welt aus komplexen Systemen leben, die zwar in kleinere Einheiten zerlegt werden können, wo aber das ganze System beim Ausfall einer einzigen Einheit in Mitleidenschaft gezogen wird, während die Einzelsysteme für sich genommen nicht lebensfähig sind.
Das gilt natürlich insbesondere in Bezug auf lebende Körper, also auch auf Menschen und Tiere, aber schon in Bezug auf Maschinen. Es gibt so manches Teil in meinem Auto, das einfach nicht kaputtgehen darf, für sich genommen aber sinnlos ist. Ich muß das wohl nicht weiter ausführen, das ist selbstverständlich. Vollkommen unverständlich ist mir nun der folgende Satz: "Die Basiseinheit solcher Systeme ist das Atom; die Basiskraft Energie."
Das Interessante an solchen Systemen ist gerade die Tatsache, daß es keine Basiseinheit gibt. Man kann alle Einheiten in kleinere Einheiten unterteilen und umgekehrt kleinere Einheiten zu jeweils größeren Einheiten zusammenfassen. Der Autor sagt das selber im Absatz vorher (Seite 233): "Von Makrokosmos bis Mikrokosmos ist kein Bestandteil zur unabhängigen Funktion fähig oder frei von den Einflüssen anderer Bestandteile und des ganzen Systems."
Insbesondere ist das Atom gerade keine Basiseinheit, sondern wird mit wachsender Begeisterung von unseren Physikern in kleinere Einheiten zerlegt. Das Internet ist eine Erfindung eben dieser Physiker, die gerade dabei sind, für ihre eigenen Zwecke das Internet noch einmal neu zu erfinden und zu verbessern. Je mehr Energie man in die Zertrümmerung der Atom reinsteckt, desto mehr Interessante kleine Subsysteme werden entdeckt.
Aber das ist vermutlich alles unerheblich. Solche kleinen Ungenauigkeiten muß man einem Tierarzt durchgehen lassen. Hauptsache, das Pferd wird wieder gesund. Auf genau diesen Standpunkt stellt sich der Autor. Wie immer man das nennt und welche Erklärungsmodelle man immer auch bemühen möchte: es ist unerheblich. Da stimme ich ihm vollkommen zu.
Der Autor wendet sich nunmehr der Kräutermedizin zu und entwirft ein spannendes Szenario, das für meinen Geschmack nachweist, daß Pferde heutzutage nicht mehr leben können. Die Pferde haben sich im Laufe der Evolution in direkter Abhängigkeit zur Pflanzenwelt entwickelt, die der Mensch nun durch die modernen Düngungsmethoden so durcheinandergebracht hat, daß die Pferde notwendigerweise krank werden.
Oder nicht ganz - der Autor läßt sich immer ein Hintertürchen offen (Seite 235):
| | Der Kaliumgehalt wird drastisch erhöht und führt zu möglichen Ungleichgewichten im Elektrolythaushalt und zur Schwächung des Magnesiumstoffwechsels (und damit zur Veränderung von Nerven-, Herz- und Muskelfunktion bei den Weidetieren). | | |
Sie sehen: der Autor sichert sich durch das Wort "möglichen" ab. Mit anderen Worten: Warum unsere Tiere noch leben, wissen wir einfach nicht. Im Grunde müßten sie tot sein. Jedenfalls wenn sie eine Maschine wären und die Systeme so einfach, daß wir sie verstehen würden. Das ist aber nicht der Fall.
Der Autor fährt damit fort, die Gefahren der Kräutermedizin zu beschwören und beweist die Gefährlichkeit der Naturmittel damit, daß die Pharmaindustrie im Grunde Naturstoffe ausbeutet bzw. nachbaut. Nun wissen wir schon aus gesundem Menschenverstand, daß ein jegliches Zuviel vom Übel sein kann. Man kann sich auch an Küchenzwiebeln vergiften. Es kommt nur auf die Dosis an.
Jetzt wollen wir doch wissen, wieviel von welchem Kraut wir unserem Pferd bei welchem Symptom verabreichen sollen. Genau diese Frage aber wird nicht beantwortet. Wir bekommen eine Liste der wichtigsten Kräuter: Kamille, Beinwell, Löwenzahn, Flachs, Knoblauch, Blasentang, Ringelblume, Minze, Brennessel.
Wächst das nicht ohnehin in der freien Natur, z. B. Löwenzahn und Brennessel? Nehmen wir einmal die Brennessel (Seite 239):
| | Diese Pflanze hat einen so schlechten Ruf als Unkraut, daß ihre wertvolle Nähr- und Heileigenschaften fast völlig übersehen werden. Eisen, Kalzium, Kalium sind besonders reich in Nesseln enthalten. Das reichlich in ihnen vorhandene Vitamin C wirkt sich positiv auf das Immunsystem aus und unterstützt die Absorption des Eisens. Brennesseln sind ein starkes Tonikum und wirken milchtreibend. Sie sind wertvoll als tägliche Futterergänzung für säugende Stuten, bei Hufrehe, Arthritis und Anämie sowie schlechtem Allgemeinzustand. | | |
Mit anderen Worten: ist doch gut, oder? Und wieviel können die davon kriegen? Und wie kriege ich die dazu, das zu fressen?
Lebende Brennesseln haben unsere Pferde nie gefressen, aber wenn ich die gesenst habe und die ein bißchen angetrocknet waren, so nach einer halben Stunde ungefähr, dann kamen die angeschlichen und haben sich darüber hergemacht. War das gefährlich? Ich meine: die Dosierung war doch völlig unkontrolliert, oder?
Da ist der Autor aber schon beim Thema Homöopathie. Ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen, Sie können sich schon denken, daß mir die Ausführungen über die Homöopathie auch nicht gefallen. Gott sei Dank ist das nur ein Teil des Buches, nur einer von zweiundzwanzig Autoren. Schauen wir uns doch noch einmal einen der anderen Teile an.
Seite 192, Pferde transportieren; ein nagelneuer Geländewagen mit einem nagelneuen englischen Pferdeanhänger mit Frontausstieg wird begleitet von folgendem Text:
| | Der technische Zustand und vor allem der Boden des Hängers muß regelmäßig überprüft werden - nicht nur zu den TÜV-Terminen. Das Zugfahrzeug muß von der Motorleistung und dem Gewicht her in der Lage sein, den beladenen Hänger leicht zu ziehen. Beachten Sie die Zuglastangaben im Fahrzeugschein und prüfen Sie den Reifendruck. Fahren Sie vorsichtig und vorausschauend; vermeiden Sie plötzliches Abbremsen und zu schnelles Fahren in den Kurven. | | |
Muß ich dafür ein Buch kaufen? Eigentlich verstehen sich diese Dinge von selbst. Und wer diese Fehler macht, wird sie durch das Buch nicht vermeiden, denn er wird das Buch nicht lesen. Es kann natürlich nicht schaden, so etwas in einem Buch zur Sprache zu bringen.
Auf Seite 153 findet sich unter der Überschrift "Untugenden durch Streßminderung vorbeugen" unten links ein Foto mit der Beschriftung: "Stallpferde sollten beliebig Rauhfutter zur Verfügung haben." Man sieht eine Raufe, die oberhalb des Pferdekopfes angebracht ist, und einen Pferdekopf, der sich entsprechend verrenkt, um an das Heu heranzukommen. So überflüssig war also der Tipp der letzten Woche nicht (Freßhaltung).
Das Vorwort ist von einer deutschen Tierärztin geschrieben, die in der Praxis eines der Autoren arbeitet oder gearbeitet hat. Sie schreibt, daß ihr schon schnell bewußt geworden ist, daß die Engländer ein ganz anderes Verhältnis zum Pferd haben. In einem etwas zweifelhaften Satzbau scheint die Autorin die Meinung zu vertreten, daß die Engländer das Pferd als Familienmitglied ansehen und nicht als Sportgerät, wie wir Deutschen, wobei aber die Frage der artgerechten Haltung nachrangig ist.
Daraus ergeben sich wiederum typische Erkrankungen, die durch Haltungs- und Fütterungsfehler zustandekommen, während bei uns eher Verschleißprobleme im Vordergrund stehen. Dieses Buch nimmt sich demnach der besonderen englischen Probleme an. Irgendwie soll es dann auch eine Brücke zwischen England und dem Kontinent schlagen.
In einer Hinsicht stimme ich der Autorin zu. Das Buch ist sehr sorgfältig gemacht, hat eine Fülle von Abbildungen und Zeichnungen und enthält zweifellos sehr viele Informationen, die letzten Endes nützlich sind. Mit Pferdegesundheit ist das Thema des Buches vielleicht zu eng gefaßt; selbst als tierärztlicher Ratgeber ist es nicht gut beschrieben, weil viele Themen angesprochen sind, die über den eigentlichen Gesichtskreis des Tierarztes hinausgehen. Immerhin ist etwa die Hälfte der Autoren nicht tierärztlich tätig.
erschienen 20.04.03
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