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Bericht Zum Thema Steppenreiter · Gesamttext
Inhaltsverzeichnis Ausgabe 193.02 der Pferdezeitung vom 08.12.02
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 Steppenreiter unter sich 
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Trommeln & Flöten begleiten den Wettkampf
©   Johannes Fischnaller

    Steppenreiter unter sich   
    Bogenschiessen vom Pferd   
von   Johannes Fischnaller


Die Trommeln versetzen Mére in helle Aufregung. Nervös tänzelt der Fuchshengst hin und her, seine Ohren spielen unablässig. Ich habe reichlich zu tun, damit er in der Reihe der drei Reiter stehen bleibt.

Er ist es sichtlich nicht gewöhnt, auf der Reitbahn von Trommelmusik begrüsst zu werden, wie sie die Taiko-Trommler oben an der Jurte über den Zielscheiben spielen, vor denen wir uns aufgestellt haben.

Erst recht verwirrt ihn die Begrüssung durch die Krieger auf der anderen Seite der Reitbahn, ein dreifacher Schrei, zugleich Willkommen und Glückwunsch für den Kampf.

Denn ein solcher wird hier gleich stattfinden und ich bin einer der Kämpfer. Der blaue Kaftan, den ich trage, ist mein Rangabzeichen und der asymmetrische Bogen, den ich zusammen mit drei Pfeilen in der Linken halte, meine Waffe.

Noch immer dröhnen die Trommeln, als wir drei Reiter uns im langsamen Schritt zum Auslauf der Reitbahn den Hügel hinauf begeben, um unter den Segenswünschen der dort stehenden Schamanen das Himmelstor zu durchreiten.



Der Wettbewerb


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Der Autor auf Mére
Mére ist spürbar aufgewühlt, er weiss nicht, wie ihm geschieht: so viele Menschen, der Lärm, die vielen Farben... Er beruhigt sich ein wenig, als wir wiederum langsam und entspannt im Schritt der sanften Kurve am Anfang der Reitbahn zustreben.

Auf dem Weg dorthin bereite ich mich auf den ersten Ritt vor: die Pfeile ordentlich in der Bogenhand aufgefächert, um sie blind aufnehmen und auf die Sehne setzen zu können, die Ärmel des Kaftans aufgekrempelt, damit sie im Schuss nicht die Sehne bremsen.

Ich bringe Méré zum Stand und warte einen Augenblick, damit er sich konzentriert. Dann wende ich ihn. Der kluge Hengst weiss, was von ihm erwartet wird und springt aus dem Stand in einen gleichmässigen Galopp.

Dort, wo die Bahn aus der Kurve in die Gerade übergeht und der erste Pfosten steht, lasse ich die Zügel fallen und ergreife den ersten Pfeil. Ich lege ihn auf die Bogensehne und hebe mich leicht im Sattel. Den Bogen spannend, so weit, bis sich die Schulterblätter berühren, ist mein Blick nur mehr auf die Scheibe gerichtet.

Den Galopprhythmus des Pferdes im Gleichklang mit der Bewegung meines Oberkörpers löse ich den Pfeil in dem Augenblick, in dem sich alle vier Beine des Pferdes in der Luft befinden. Für einen Sekundenbruchteil habe ich hier den Ruhepunkt, der einen sicheren Schuss erlaubt.

Dem Pfeil nachzublicken ist keine Zeit � schon kommt die zweite Scheibe, der Schuss zur Seite. Wieder den Pfeil auflegen, den Bogen spannen, Schuss! Und noch einmal: die dritte Scheibe, der Schuss nach hinten: Auflegen, halten, Schuss � das Ende der Reitbahn ist erreicht.


Hunnen


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Erster Pfeil nach vorne
Wie aus obiger Schilderung leicht ersichtlich, befinden wir uns im Jahre 450 nach Christus in einem Heerlager der Hunnen, wo Attila einen Schaukampf für befreundete Stämme veranstaltet, um das Können seiner Krieger vorzuführen.

Der Krieger, die über einige Jahrhunderte dafür verantwortlich waren, dass in vielen Kirchen im Westen eine eigene Fürbitte in das Messritual eingefügt wurde: "A sagittis Hungarorum libera nos domine!" (Von den Pfeilen der Hunnen befreie uns, O Herr!).

Irrtum! Die Zeit ist noch immer das 21. Jahrhundert, der Autor dieser Zeilen ist Brillenträger und Computerarbeiter und vom Äusseren her keinesfalls mit einem Hunnen zu verwechseln.

Wir befinden uns in Kaposdada, einem Dorf südlich des ungarischen Balaton, im Tal des Lajos Kassai. Hier finden heute, so wie jedes Jahr am dritten Wochenende im September, die Herbstwettkämpfe im Bogenschiessen vom Pferd statt.

Insgesamt werden heute 22 Männer und Frauen (auf den insgesamt 4 Reitbahnen in Ungarn sind es 66 Leute) zeigen, was sie können und dass sie ihren Rang, der sich in der Farbe ihres Kaftans ausdrückt, durch hartes Training zu Recht erworben haben.

Hierher nach Kaposdada sind fast nur Ungarn gekommen, Pettra und Abdul Majid vertreten Deutschland und ich darf Österreich repräsentieren.

Kaposdada ist ein besonderer Ort, nicht nur eine Reitbahn unter anderen. Hier lebt und arbeitet Lajos Kassai, der Mann, der die besten Reiterbögen der Welt baut.

Der Mann auch, der das Bogenschiessen vom Pferd nach vielen hundert Jahren aus seinem Schlummer gerissen und einen Wettkampfsport und eine Kampfkunst daraus gemacht hat. Bislang auch der einzige, der den schwarzen Kaftan des ersten Meistergrades trägt � wir werden noch sehen, was es damit auf sich hat.

Auf diesen 15 Hektar lebt nicht nur er, sondern auch immer mindestens 12 Pferde � Hengste und Wallache � die er selbst trainiert hat, für die regelmässig stattfindenden Trainings, Wettkämpfe, aber auch Shows für das interessierte Publikum, vor allem Schulklassen, die einmal einen etwas anderen Geschichtsunterricht bekommen sollen.

Das Tal enthebt uns Reiter von weither der Mühe, unsere eigenen Pferde mitzunehmen � die besten sind schon da. Gestern habe ich mich für Mére entschieden, ich kenne ihn schon lange, habe letztes Jahr auf ihm meine erste Prüfung gemacht und ihn auch schon oft im Training gehabt.

Ein wunderbarer Partner, einfühlsam und stark. Allerdings muss ich heute feststellen, dass er auch hochsensibel bis übernervös sein kann: Vor allem der Trommellärm scheint ihn so aufgeputscht zu haben, dass er mit jedem Ritt schneller zu werden scheint: beim letzten der 9 Galopps macht er die neunzig Meter in etwa acht Sekunden � und das übersteigt einstweilen noch meine bescheidenen Fähigkeiten, bei grossen Geschwindigkeiten mehrere gezielte Schüsse abzugeben, und führt daher konsequenter Weise zu einem relativ niedrigen Resultat.


Die Regeln


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Der "parthische" Schuss nach hinten
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Abdul Majid, der Autor, Pettra Engeländer
Punkte, Resultat � ich glaube, es ist Zeit, ein paar Worte über die Regeln des Wettkampfes zu verlieren:

Jeder Reiter hat neun mal die neunzig Meter lange Bahn hinunterzureiten, in deren Mitte � genau neun Meter von der Bahn entfernt � drei Zielscheiben aufgestellt sind.

Während der ersten dreissig Meter seines Rittes muss er soviele Pfeile wie möglich auf die erste Scheibe schiessen, also nach vorne, auf den zweiten dreissig Metern auf die mittlere Scheibe zur Seite, auf den dritten dreissig Metern auf die letzte Scheibe nach hinten, mit dem sagenhaften "Partherschuss".

Die Treffer werden je nach Schwierigkeit des Schusses unterschiedlich gewertet, ebenso zählt die Geschwindigkeit des Pferdes. Keine Punkte gibt es, wenn der Reiter gar keine Scheibe trifft, länger als 16 Sekunden für seinen Galopp braucht oder das Pferd die Bahn verlässt.

Die Scheiben haben jeweils drei Ringe, die unterschiedlich bewertet werden:

  • der erste Schuss, nach vorne, ist ganz schön schwer. Hier gibt�s 2, 3 oder 4 Punkte

  • der zweite Schuss, zur Seite, ist der leichteste: 1, 2 oder 3 Punkte

  • der dritte Schuss, nach hinten, ist am schwersten: 3, 4 oder 5 Punkte

Um die unterschiedliche Geschwindigkeit der Reiter in der Beurteilung des Rittes zu berücksichtigen, wird die Zeit des Rittes in die Wertung einbezogen: brauche ich etwa nur 12 Sekunden für die 90m, bekomme ich alleine für die 4 gesparten Sekunden 4 Punkte � natürlich nur, wenn ich auch auf der Scheibe Punkte erzielt habe.

Auf einem schnellen Pferd bräuchte ich also nicht so viele Treffer zu erzielen wie ein Reiter auf einem langsamen Pferd und würde dennoch ihn übertreffen.

Das System erscheint vielleicht erstmal ungerecht, ist aber durchaus korrekt: es ist viel schwieriger, von einem schnellen Pferd genau zu treffen, die Scheiben zischen nur so am Auge vorbei.


Der Ablauf


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Viktor "fliegt" auf Kapos
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Die Scheiben fliegen vorbei
Zurück auf die Bahn: Meine neun Galopps sind vorbei, ich sattle Mére ab und schicke ihn mit einem Klaps zu seinen Freunden, die sich irgendwo auf dem Gelände herumtreiben.

Jetzt bin ich an der Reihe, meinen Freunden auf der Bahn zu helfen: beim Sammeln der Pfeile und beim Zählen der Punkte (soweit mein rudimentäres Ungarisch reicht).

In der nächsten Gruppe reitet auch Viktor, und es ist immer ein Vergnügen, ihm zuzusehen: erstmal ist er vom Aussehen der Prototyp des wilden Hunnen, des edlen Kriegers, und dann reitet er immer auf Kapos, einem Schimmel, dem nichts mehr Vergnügen zu bereiten scheint, als so schnell wie der Wind die Bahn hinunterzurasen.

Weil Viktor das weiss, gelingen ihm bei diesem Tempo immer wieder spektakulär schöne Schüsse, und es wird klar, warum er seinen roten Kaftan zu Recht trägt.

Das gehört auch zu den Regeln, die Lajos Kassai aufgestellt hat: er war der Meinung, die unterschiedliche individuelle Entwicklung der Reiter sollte durch ein System von Rangstufen nach aussen sichtbar und nach innen erlebbar gemacht werden.

Deshalb muss ein Reiter verschiedene Prüfungen absolvieren, die sein Können der Welt bekannt machen und ihn unter seinesgleichen in eine Ordnung stellen.

Es gibt drei Schüler- und drei Meistergrade, die nach aussen in der Farbe des Kaftans und durch Symbole, die am Gürtel getragen werden, dargestellt werden. Die Schüler tragen im ersten Grad Blau, im zweiten Grün und im dritten Rot, die Meister im ersten Grad Schwarz, im zweiten Grad Scharlach und im dritten Grad Gelb.

Mein Kaftan ist blau, ich trage also den ersten Schülergrad. Den habe ich erreicht, weil ich bei der Prüfung, die wie ein Wettkampf abgehalten wird, über 30 Punkte erzielt habe. Zur Prüfung zum zweiten Schülergrad darf ich erst antreten, wenn ich bei mindestens einem Wettkampf über 60 Punkte schiesse.

Danach wird's auch nicht leichter: um zur Prüfung zum dritten Schülergrad antreten zu dürfen, muss der Reiter bei mindestens zwei Wettkämpfen über 90 Punkte erzielen.

Und wenn man sich die Bedingungen für den Antritt zur ersten Meisterprüfung ansieht, wird klar, dass dieser nicht umsonst ein Meistergrad ist: der Krieger muss bei mindestens drei Wettkämpfen über 120 Punkte erzielen und bei der Prüfung auf zwei Pferden, einem schnellen und einem langsamen, je über 120 Punkte schiessen.


Lajos Kassai


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Lajos muss mehr Pfeile als alle anderen halten ...
Derzeit gibt�s weltweit nur einen Mann, der dieses Ziel erreicht hat: Lajos Kassai selbst. Meister des zweiten und dritten Grades gibt es (noch) nicht.

Er reitet jetzt, zusammen mit Andras, einem Grünkittel. Wenn man�s nicht sieht, würde man nicht glauben, dass so etwas möglich ist: der Mann schiesst auf der 90 Meter langen Bahn auf jedem Ritt 9 Pfeile, von denen die allermeisten ihr Ziel erreichen.

Er hat den Rhythmus seines Pferdes soweit verinnerlicht und den Bogen so sehr zum Teil seines Selbst gemacht, dass seine Ritte unglaublich leicht und seine Schüsse wie selbstverständlich aussehen.

Mit kraftvoller Grazie absolviert er Ritt um Ritt, unter stetig wachsender Begeisterung des Publikums, die ihren Höhepunkt erreicht, als sich die beiden Reiter schliesslich vor den Scheiben aufstellen und ihre Punkte verkündet werden: über 190 für Lajos Kassai.

Um drei Uhr nachmittags ist der Wettkampf vorüber, die Zuschauer strömen langsam in einen anderen Teil des Tales und versammeln sich am Rand der "Arena".

Hier zeigen der Meister und seine Meisterschüler, was sie im Rahmen ihres Trainings sonst noch üben: Lanzenwerfen und Meisterschüsse auf stehende, bewegte und geworfene Ziele � aus dem vollen Galopp, nach vorne, zur Seite und nach hinten.

Eine Gruppe verrückter Nationalisten, die ihre glorreiche Vergangenheit nicht lassen können? Wohl kaum.

Einmal, weil gar nicht nur Ungarn vom Pferd aus mit dem Bogen schiessen: An den Herbstwettkämpfen haben heuer nicht nur insgesamt 66 Ungarn und ungarisch-stämmige Slowaken teilgenommen, sondern auch zwei Deutsche und ein Österreicher.

Zu den Schülern Kassais zählen darüber hinaus auch Native Americans vom Stamme der Oglala-Lakota, Cowboys und Schützen aus den USA, Italien und Grossbritannien.

Aber die Vorstellung, hier ginge es � positiv formuliert � nur um Traditionspflege, blamiert sich auch sofort, wenn man überlegt, welche Leistungen von Pferd und Reiter gefordert sind und welche geistigen und körperlichen Energien in diesem Sport in Bewegung gebracht werden.


Einheit von Pferd, Reiter und Bogen


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Auch das Lanzenwerfen gehört zum Training
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Pettra Engeländer auf Keszi
In den beiden Disziplinen, Reiten und Bogenschiessen, ist perfekte Körperbeherrschung und höchste geistige Disziplin notwendig, um auf der Reitbahn erfolgreich zu sein. Die Einheit von Pferd, Reiter und Bogen muss eine vollständige sein � und das sieht man dann auch als Zuschauer.

Kassai hat Elemente des Kyudo, des japanischen Bogenschiessens, ebenso in den Sport eingebracht wie schamanische Traditionen und Elemente des Natural Horsemanship.

Aber es ist doch nicht verwunderlich, warum der Sport ausgerechnet im Karpatischen Becken in Ungarn entstanden ist: Dieses Sammelbecken der Reitervölker hat die verschiedensten Nomadenstämme und �reiche gesehen: Skythen, Hunnen, Mongolen, Avaren, Magyaren, ... Ihre Spuren sind überall zu entdecken.

Lajos Kassai war es, der in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begann, die archäologischen Erkenntnisse dazu zu verwenden, die Bögen der Reitervölker mit modernen Materialen zu bauen.

Er war der erste, der diese Bögen in Serie fertigte und seine laminierten Hunnenbögen sind die besten Bögen, die heute erzeugt werden. Leicht, stabil und schnell, mit einem weichen, langen Auszug, einer flachen Schussbahn und einer extremen Stabilität.

Er hat es erst heuer wieder gezeigt, als er im Mai zwölf Stunden lang ohne Unterbrechung über 320 Galoppritte auf der Bahn absolvierte, dabei an die 3000 Pfeile schoss und einen Punktedurchschnitt von 198 erzielte.

Er war es, den das Bogenschiessen zu Fuß nicht befriedigte, weil ihm die kriegerischen Traditionen seiner Ahnen nicht aus dem Kopf gingen.

So wie er die Bögen mit den modernsten Materialien fertigt, hat er die kriegerischen Traditionen der Reiternomaden in die heutige Zeit überführt und einen Sport daraus gemacht.

Einen Sport, der immer mehr Menschen anzieht, Frauen und Männer, Junge und Alte, aus aller Welt, und der sich auch in anderen Ländern schon zu verbreiten beginnt.

Jedes Jahr im September fährt Kassai nach Fort Dodge in Iowa, um dort im Rahmen des "International Horsebackarchery Festivals" zu unterrichten und seine Kunst zu zeigen.

Vielerorts, unter anderem in Deutschland, Österreich, Kanada, Finnland, Slowenien, sind Enthusiasten dabei, eigene Zentren des Bogenschiessens vom Pferd zu etablieren und diese Kampfkunst zu verbreiten.


Kontakt und Info


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Lajos schießt auf fliegende Scheiben
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Gruppenbild mit Damen
Lajos Kassai hat ein Buch über das Bogenschiessen vom Pferd geschrieben, das seit einigen Tagen auch in einer deutschen Übersetzung erhältlich ist (siehe   Buchbesprechung).

Infos und die Bögen gibt�s





Abbildungen
©   Johannes Fischnaller


Rezension: Bogenschießen vom Pferd


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Kassai, Lajos

Bogenschie�en vom Pferd


174 Seiten, viele Abbildungen schwarz-wei�
P�ski Kiad� kft.
ISBN 978963937801


15,-  EUR      Bestellen


Der Verlag sagt über das Buch:

Klappentext

Im Wesentlichen gibt es zwei Arten von Menschen. Menschen der Frage und Menschen der Antwort. Der Mensch der Frage sucht sein Leben lang und wünscht sich, die Dinge zu erfahren und zu wissen. Der Mensch der Antwort sagt, seine Religion liefert alle Antworten, und er zieht sich auf die Rituale seines Glaubens zurück. Mein Leben scheint eine Mischung aus beidem zu sein. Ich habe immer alles ausprobieren wollen und gesagt, daß nur Dumme aus den Fehlern der anderen lernen wollen, da nichts wichtiger ist als persönliche Erfahrung. Wissen ist unser einziger Schatz, der uns nicht genommen werden kann, während er gleichzeitig die aristokratischste Sache der Welt ist. Nun, da ich auf dem Höhepunkt meines Lebens angekommen bin, habe ich eine sonnige Lichtung erreicht und den qualvollen Dschungel der Fragen und Begierden hinter mir gelassen. Akzeptanz dominiert den Wunsch nach Veränderung. Das berittene Bogenschießen, das mir einst erlaubte, auf einem magischen Roß durch Raum und Zeit zu fliegen, ist für mich zu einem Ritual geworden, das mir einen Rahmen für mein Alltagsleben zur Verfügung stellt. Für mich repräsentiert es Wissenschaft, Kunst und Religion auf einmal. Ich habe versucht, soviel möglich über diese Aktivität mit Hilfe der Logik zu lernen, dann habe ich versucht, sie im Rahmen meiner besten Fähigkeiten künstlerisch aufzuarbeiten, und als ich soweit gekommen war, bemerkte ich, daß es mein Glaube geworden ist.



 
W. Popken im Fenster
Selbstportrait 08/2004
 
 
Meine Meinung zu dem Buch:
von   Werner Popken

Der Mann auf dem Umschlag sieht sehr grimmig aus. Das Buch beginnt mit einem Gedicht, das zusätzlich noch als Einzelblatt beigelegt ist, vermutlich um es zu verschenken. Es hat mich nicht berührt; eine Zeile wird dreimal wiederholt, muß also wohl besonders wichtig sein:

MEINEN LEIB ZERFLEISCHET
Das finde ich doch ziemlich abartig.

Das erste Kapitel heißt DIE VERGANGENHEIT; die Vorfahren des Autors, große Namen, die Weltgeschichte schrieben, berittene Bogenschützen allesamt, wurden dem kleinen Jungen durch ein Buch lebendig, aus dem die Mutter jeden Abend vorlies.

Die kriegerische Vergangenheit setzt Energien im Autor frei, die ihn vorantreiben. Krieg und Zerstörung begeistern ihn, er beschäftigt sich mit der Geschichte, mit Archäologie, seine Sympathien gelten selbstverständlich den perfekten Killern.

Der Autor beklagt sich über Diffamierungen in der Literatur. Hunnen, Mongolen, Magyaren waren der Schrecken der Völker, und aus der Sicht dieser Völker hat die Kultur der Bogenschützen nicht viel Positives - schließlich hatten sie vor allem unter der überlegenen Kriegstaktik zu leiden.

Diese Ausführungen haben mich irritiert, weil sie andeuten, daß der Autor mit den Vernichtungsabsichten der Reitervölker sympathisiert. Nach der Lektüre des Buches war ich etwas versöhnt, weil Kassai über diese vordergründigen und brutalen Erinnerungen hinaus persönliche Erfahrungen gemacht hat, die von allgemeinerem Interesse sind.

Trotzdem hatte ich den Eindruck, daß hier ein fanatischer Monomane schreibt, der auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt, der vor allen Dingen sich selbst besiegen will, der immer wieder neue Grenzen erfindet und überwindet, der selbst den Tod herausfordert: ein Reinhold Messner mit dem Bogen, wie es ihn überall und immer gegeben hat und geben wird.

Manche von diesen Leuten werden berühmt, und Lajos Kassai ist einer von ihnen. Die Frage liegt nahe, warum sich andere Leute dafür interessieren, warum sie ihn bewundern, warum sie ihn verehren.

Lajos Kassai begann nicht mit dem Bogenschießen vom Pferd, er begann mit dem Bogenschießen ohne Pferd. Zwar hatte er das Gefühl, Pferde seien etwas Natürliches und er könne ohne weiteres reiten, aber da hatte er sich getäuscht.

Das Bogenschießen an sich wird im Westen inzwischen wieder als Sport betrieben, mit olympischen Ehren sogar, im Osten, genauer gesagt in Japan, wird es als Technik zur Meditation eingesetzt. Berühmt ist das kleine Büchlein des deutschen Professors Herrigel aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Titel "Zen in der Kunst des Bogenschießens".

Dabei geht es im Gegensatz zu den westlichen Zielen nicht darum, zu treffen. Ich erinnere sehr genau, daß Herrigels Zen-Meister auf die Qualität des Schusses achtete und nicht darauf, daß der Schuß ins Schwarze traf. In Bezug auf diese Qualität war der Meister nicht zu täuschen.

Auch Kassai ist nach Japan gepilgert und hat dort Unterricht genommen. Wenn er an verschiedenen Stellen betont, daß man zwar treffen muß, aber nicht zielen darf, ahnt man, wieso er immer wieder auf die spirituellen Qualitäten des Bogenschießens abhebt. In seiner Darstellung konnte ich leichter nachvollziehen, worum es dem Zen-Meister geht. "Es" schießt, "es" trifft.

Das Schießen vom Pferd ist, wie man sich leicht vorstellen kann, um ein Vielfaches schwerer als das Schießen aus dem Stand. Kassai wird auch nicht müde, den Schwierigkeitsgrad ständig zu erhöhen. Wenn er in fünf Sekunden drei Pfeile ins Ziel bringen will, mitten aus dem vollen Galopp, kann er über das Treffen nicht nachdenken.

Wie also kommt der Treffer zustande? Offenbar werden hier Kräfte tätig, die über den normalen Verstand hinausgehen. Und genau das interessiert Kassai, je mehr er hinter diese Geheimnisse kommt. Wer schon einmal in einer brenzligen Situation war, die tödlich hätte enden können, hat vielleicht erlebt, daß hier automatisch Kräfte wirksam werden, über die wir sonst nicht verfügen. "Es" bremst, "es" reißt den Lenker herum.

Wer aber würde auf die Idee kommen, solche Situationen bewußt herbeiführen zu wollen? Kassai fesselte sich zu diesem Zweck an sein Pferd und ließ es unkontrolliert durch das Gelände rasen. Als sich bei einem Unfall herausstellte, daß der Strick riß und ihm dadurch das Leben gerettet wurde, ersetzte er diesen sofort durch ein unzerreißbares Lederband.

Kassai selbst und seine Anhänger werden das wahrscheinlich alles unglaublich toll finden; ich fand es unverantwortlich. Zwar mußte ich aus dem Buch den Eindruck gewinnen, daß Kassai ein Einzelgänger ist und deshalb eigentlich niemandem verantwortlich, aber er wird doch wohl auch eine Mutter und einen Vater haben; und wie verantwortet er sich vor Gott?

Desto erstaunter war ich, als ich auf seiner eigenen Webseite erfuhr, daß er mit 21 Jahren geheiratet hat und zwei Jahre später eine "wundervolle" Tochter bekam - persönliche Töne, mäßig gefühlvoll, die ich ihm gar nicht zugetraut hatte.

Dazu kamen einige Fotos, die ihn wesentlich harmloser zeigten, als er sich in dem Buch stilisiert. Vielleicht sind also die harten Töne insgesamt nicht ganz wörtlich zu nehmen. Trotzdem wird er ein unerbittlicher Kämpfer sein, sonst hätte er nicht die unzähligen Rekorde aufstellen können.

Er ist aber wohl auch Unternehmer, Lehrer, Trainer, Darsteller, vielleicht auch ein wenig Guru. Alles das wird im Buch weitgehend ausgeblendet, so daß seine Existenz einen mythischen Anstrich bekommt.

Wenn man seine Webseite studiert, merkt man, daß er mit beiden Beinen in der Gegenwart steht und sich ausgezeichnet in der modernen Geschäftswelt zurechtfindet. Seine Zukunft sieht glänzend aus. In Deutschland hat er zwei Anhänger, die versuchen, den Sport und die Philosophie bekanntzumachen, und beide nutzen das Internet sehr geschickt.

Kassai ist ein typischer Autodidakt, der alle Erfahrungen selber machen muß, selbstverständlich auch alle Fehler, aber obwohl er das Lernen aus den Fehlern der anderen nur den Dummen zugestehen will (siehe Klappentext), ist er als Lehrer doch bemüht, seine Schüler vor den gröbsten Schnitzern zu bewahren.

So fand ich doch eine ganze Reihe von Einsichten und Erfahrungen sehr interessant und hilfreich. Er selbst scheint immer mit aller Kraft über das Ziel hinausschießen zu wollen, aber er hat doch gelernt, daß es sich auszahlt, wenn man Maß halten kann. So hat er die Mäßigung in sein System eingebaut.

Man stelle sich vor, es gelte, mit dem Bogen zu schießen. Würde man sich drei Meter vor einen Heuballen stellen und diesen als Ziel benutzen? Das käme einem doch wohl etwas zu einfach vor. Genau das aber schreibt Kassai vor.

Und wenn man dieses Ziel, was an sich nicht zu verfehlen ist, automatisch trifft, geht man einen Schritt zurück. Klappt das genausogut, geht man wieder einen Schritt zurück, und sobald man auf Probleme stößt, geht man wieder einen Schritt vor.

Und genau so arbeitet er mit den Pferden: immer im sicheren Bereich bleiben, niemals negative Erfahrungen zulassen, weder für Pferd noch Mensch. Denn es geht nicht darum, daß der Mensch etwas erzwingt, was er sich vorstellt, sondern darum, daß der Bogen und das Pferd den Menschen lehren.

Wer hätte das gedacht? Kassai hat das auf dem schweren Weg gelernt. Eines der letzten Kapitel des Buches lautet DER UNFALL, und darin findet sich die Selbsterkenntnis (Seite 149):

Ich fand heraus, daß ich viele Fehler gemacht hatte. Das Ziel, das ich mir gesetzt hatte, stand in keinem Verhältnis zu meinen Kraftreserven. Um das zu kompensieren, hatte ich fanatischen Willen eingesetzt, der die Alarmglocken meiner inneren Sinne zum Schweigen brachte. (Fanatismus ist immer eine exzessive Kompensation eines Mangels.)

Johannes Fischnaller hat mir nicht nur das Buch geschickt, sondern auch zwei Videos auf CD, etwa 8 und 14 Minuten lang, um die 150 und 200 MB groß, zu groß für einen Download. Man kann sich die Videos bei ihm auf CD bestellen (und VHS-Videos, Mail an [email protected]).

Hier kann man die Trommeln hören und die Reiter sehen. Die Stelle, wo Kassai ohne Sattel in vollem Galopp eine Handtrommel schlägt und dann sein Pferd dazu bringt, sich im Bruchteil einer Sekunde hinzulegen, habe ich mir ein halbes Dutzend mal angeschaut, aber trotzdem nicht herausfinden können, wie er das macht.

Wieso aber überhaupt getrommelt wird, wurde mir aus den Videos nicht klar. Das Buch bringt Aufklärung im Kapitel KONTAKTE. Kassai hatte ja alles selber gefunden und wurde nun müde. Er bringt einen herrlichen Vergleich (Seite 123):

Meine Experimente bis hierhin konnten verglichen werden mit jemandem, der versucht, den David von Michelangelo zu verstehen, indem er aus einer fixierten Position heraus mit konstanter Geschwindigkeit Tennisbälle gegen die Skulptur schlägt und versucht, den Umriß dieses Meisterwerks zu rekonstruieren, indem er die Winkel und Geschwindigkeiten der abprallenden Bälle untersucht.

Und nun kommt zum wiederholten Male eine großartige Eigenschaft des Autors zum Zuge: Kassai beginnt ganz von vorne. Er fragt sich, wie es wohl in den 25.000 Jahren, in denen Bogenschießen praktiziert worden ist, ausgesehen hat, ob jeder Schütze wieder erneut auf eigene Faust dieselben Erfahrungen machen mußte.

Das bringt ihn zum Schamanismus, und da hat er wieder einmal Gelegenheit, seinen köstlichen Humor unter Beweis zu stellen (Seite 123):

Um in dieser Richtung voranzukommen, dachte ich, ich müsse einen Schamanen finden, der über die Praktiken der archaischen Urmenschen Bescheid wisse und der mich in die Mysterien der Trance einführen könne. Das Problem ist nur, daß, wenn man im heutigen Ungarn auf gut Glück einen Stein wirft, man auf jeden Fall einen Naturheiler in mystischen Roben oder einen Oberschamanen am Kopf trifft. Natürlich schwimmen ein paar gute, nüchterne Leute gegen die alles überschwemmende Flut der Dilettanten an.

Der Schamanismus mit seinen Trommeln gehört ebenso wie die große Jurte und das Kriegsgeschrei zum System. Es geht eben nicht nur um großen Sport (obwohl Kassai vermutet, daß in einigen Jahrzehnten das Bogenschießen zu Pferd olympische Disziplin wird), sondern auch um die Erforschung und Inszenierung der Vergangenheit.

An verschiedenen Stellen klingt an, daß Kassai karmische Lasten abträgt. Hier lebt sozusagen ein großer Krieger der Vergangenheit seine unerledigten Probleme aus. Hinzu kommt: wenn schon die Gegenwart nicht so berauschend ist, so kann man sich doch an der Vergangenheit hochziehen.

So wundert es nicht, daß die meisten Anhänger dieses Sports aus Ungarn und umgrenzenden Ländern kommen. Dort fehlt es auch nicht an der entsprechenden Weite. Kassai hält die im Westen übliche Form der Pferdehaltung für katastrophal und die so gehaltenen und dadurch verdorbenen Pferde für schlecht. Zitat aus einem Interview: "Die heute verbreitete Stallhaltung ist ja ein ziemlich tödliches System für die Pferde. Das Pferd ist für Steppen, für freie Räume, für das grüne Gras geschaffen."

Der deutsche Steppenreiter Christian Schrade sagte es mir einmal so: "Wir fangen da an, wo die anderen aufhören". Lajos Kassai hält seine Sportart für die interessanteste Pferdesportart und für diejenige, die sich in diesem Jahrhundert am schnellsten entwickelt.

Man sieht, den Anhängern des Bogenschießens vom Pferd mangelt es nicht an Selbstbewußtsein. Es geht aber nicht nur um das Schießen, nicht nur um das Pferd. Das macht die Sache besonders interessant, denn bei den anderen Sportarten geht es nur um das Gewinnen. Die spirituelle Dimension fehlt vollständig.

Das System des Lajos Kassai ist, wie könnte es bei einem Autodidakten anders sein, vorläufig und unvollständig. Das mache ich ihm aber nicht zum Vorwurf. Ich finde es großartig, daß er überhaupt über den Tellerrand hinausblickt und wesentliche Daseinsfragen formuliert, aber nicht nur das, durch sein Beispiel seinen Anhängern und der Welt zeigt, daß es auf mehr ankommt als nur die Bewältigung der unmittelbaren Lebensfragen.

Deshalb möchte ich dieses Buch allen denen empfehlen, die in ihrem Leben und besonders im Umgang mit Ihrem Pferd einen Mangel empfinden. Nicht daß ich glaube, sie würden dem Autor folgen sollen oder unmittelbare Antworten finden; sie werden aber auf jeden Fall ermutigt, eigene Fragen zu stellen und vielleicht durch das Beispiel des Autors angeregt, selber mehr Risiken zu wagen, als das gemeinhin üblich ist. Dieser Mann gibt sich nicht mit Halbheiten zufrieden. Insofern kann er als Vorbild dienen.

Ein Zitat zum Schluß, das nicht nur Pferdeleuten ins Stammbuch geschrieben werden sollte (Seite 117):

Nichts in der Welt ist sicherer als der Tod, wenn man erst einmal gestorben ist, besteht absolut keine Gefahr mehr für einen. Je mehr wir nach Sicherheit streben, um so mehr sind wir schon tot, und je mehr wir nach Herausforderungen streben, um so lebendiger werden wir.


erschienen 08.12.02


· Siehe auch  Tipp 193



Kassai, Lajos

Bogenschie�en vom Pferd


174 Seiten, viele Abbildungen schwarz-wei�
P�ski Kiad� kft.
ISBN 978963937801


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Tip: Ein Glas Wasser


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W. Popken im Fenster
Selbstportrait 08/2004
 
 
Ein Glas Wasser
Von   Werner Popken

In der heutigen Ausgabe habe ich passend zum Hauptartikel das Buch Bogenschießen vom Pferd besprochen. Schon aus den Fotos des Hauptartikels wird klar, daß diese Steppenreiter phantastisch reiten können müssen. Wie kriegen die das hin? Mit und ohne Sattel!

Können wir etwas von Kassai lernen, auch wenn wir nicht Bogenschießen wollen?

In der Buchbesprechung habe ich schon betont, daß Kassai ganz langsam vorgeht, Schritt für Schritt, und weder Mensch noch Tier überfordert. Auf gar keinen Fall dürfen die Pferde überfordert werden, beim ersten Anzeichen weicht er zurück und setzt wieder da an, wo die Sache noch leicht und einfach ist. Seite 32:

Wenn unser Pferd am Anfang der Bahn in Linksgalopp geht und die Bahn gleichmäßig durchgaloppiert, bis es von alleine zum Stehen kommt, dann haben wir gute Arbeit geleistet. Danach können wir die Zügel vergessen und nur noch dann aufnehmen, wenn wir sie wirklich brauchen. Übe das freihändige Reiten so häufig wie nur möglich. Unser Fortschritt sollte kontinuierlich sein, Schritt für Schritt. Wenn etwas schwierig erscheint, sollten wir mehr Zeit darauf verwenden. Eile und Inkonsequenz werden nur zu schweren Fehlern führen.

Auf der nächsten Seite ein weiterer Tipp, der mir gut gefallen hat, weil er den Reiter und das Pferd berücksichtigt:

Benutze dein Vorstellungsvermögen, um dir Übungen auszudenken. Solange du die Regel des langsamen Aufbaus beachtest, kannst du dem Pferd beibringen, unter allen Umständen ruhig zu bleiben. Du wirst sehen, daß dein Pferd in der Lage ist, viele verschiedene Haltungen anzunehmen. Einige Pferde brauchen nur eine einzige Woche Vorbereitung, bis wir alles mögliche mit ihnen anstellen können, sogar Holzhacken auf ihrem Rücken. Andere brauchen Monate, und selbst dann noch gibt es Übungen, die sie sich weigern zu tun. Nicht alle Pferde können für das berittene Bogenschießen ausgebildet werden, und wir müssen diese Möglichkeit in Betracht ziehen, wenn wir eines kaufen.

Wie das Ausdenken von Übungen aussehen kann, beschreibt er auf Seite 38:

Im berittenen Bogenschießen muß die Reittechnik bis zu dem Punkt entwickelt werden, daß der Oberkörper völlig unabhängig wird vom Unterkörper, der wiederum sich perfekt den Bewegungen des Pferdes anpassen muß. Sobald ich das Reiten ohne Sattel gemeistert hatte, begann ich mit verschiedenen Übungen: Da ich Rechtshänder bin, also meinen Bogen in der Linken halte, konzentrierte ich mich auf meine linke Schulter. Ich stellte mir den unsichtbaren Weg vor, den meine Schulter durch die Luft beschrieb, und versuchte, daraus eine gerade Linie zu machen. Oder ich hielt ein Glas Wasser in meiner ausgestreckten linken Hand und versuchte, keinen Tropfen zu verschütten. Am schwierigsten sind diese Übungen im Trab, also übte ich vor allem im Trab.

Die beste Art und Weise, Routine beim Reiten zu erwerben, ist, im Gelände zu reiten. Wir müssen die Fähigkeiten unseres Pferdes einschätzen können, auch nach Regen und auf glitschigen, schlammigen Untergründen. Wir müssen beobachten, wie es steile Hänge von vereisten, verschneiten Straßen im Winter hinaufsteigt und hinabsteigt. Wie verhält es sich bei plötzlichen Richtungsänderungen, oder wenn wir anhalten? Wie gut können wir zusammenarbeiten, während wir die ganze Zeit Rhythmus und Gleichgewicht beibehalten?

Wenn die Steppenreiter in Aktion sind, scheint das Pferd keine Rolle mehr zu spielen, nur Mittel zum Zweck zu sein. Das täuscht. Das Pferd ist genauso wichtig wie ein Fuß oder eine Hand: im Idealfall funktionieren sie einfach perfekt, wir müssen nicht über sie nachdenken, sie arbeiten harmonisch im Gesamtsystem mit.

Kassai bringt als Bild für diesen Zustand die mythische Figur des Zentauren, des Wesens, das halb Mensch, halb Pferd ist. Diese Harmonie, dieses "Verwachsen" des Menschen mit dem Pferd ist das Ziel der Steppenreiterei. Das Überleben des Kriegers hing davon ab, wie gut er mit seinem Pferd harmonierte.


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Galerie: Gangster


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Gangster

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Wendy Promotions Ltd., Comicroman
Im Reich der Träume, Ausschnitt
Comicroman
Nr. 44/97, EHAPA Verlag GmbH

In der letzten Ausgabe habe ich mich über einige Ungereimtheiten gewundert, z. B. über die blaue Vegetation. Je genauer ich hinschaue, desto mehr fällt mir auf.

Bei diesem Bild z. B. hat das Fohlen einen enormen Schlagschatten, der darauf hindeutet, daß die Sonne sehr hoch steht und sehr kräftig scheint. Die beiden Menschen haben aber überhaupt keinen Schatten.

Ist das eine Nachlässigkeit, oder ist das Absicht? Wenn das Absicht ist - welche könnte das sein?

Man sieht übrigens an diesem Bild, daß auch die Darstellung des Fohlens zu wünschen übrigläßt: die Beine sind viel zu kurz. Für die Zwecke des Comic ist das aber vermutlich alles unerheblich: der Leser kauft die Geschichte ab, wenn nur das Vergnügen groß genug ist, und das ergibt sich unter anderem aus ästhetischen Gründen.

Denn schließlich sieht Mickey Mouse auch nicht wie eine Maus aus und trotzdem haben die Leute seit Jahrzehnten Vergnügen an dieser Figur. Sie ist eben künstlerisch überzeugend.


Wendy
ist eines der großen Pferdemagazine für jugendliche Mädchen. Im Unterschied zu den anderen Blättern, die monatlich oder sogar noch seltener erscheinen, gibt es diese Hefte zweimal im Monat. Deren Auflage ist typischerweise dreimal so hoch wie bei etablierten Blättern für Erwachsene. Dieser Markt ist also lukrativ und ergiebig.


Kommentar
Von  Werner Stürenburg

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So sehen Gangster aus
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Deus ex machina
In der letzten Woche hatte ich Gelegenheit, meinen Töchter den ersten Beitrag über die Wendy-Einhörner zu zeigen - beide konnten sich an die Geschichte erinnern, sie hatte ihnen nicht gefallen. Die Sache war zu abstrus, zu weit hergeholt.

Überhaupt hatten ihnen die Comics nicht so gut gefallen, wie ich angenommen hatte. So erwähnten sie zum Beispiel die Betonung der übersinnlichen Fähigkeiten von Wendy, die gebraucht wurden, um Geschichten dramatisch zu bewältigen.

Das ist wohl ein Problem: wie kann ich alle 14 Tage eine spannende Geschichte aus dem Leben von Wendy bringen, die glaubwürdig ist und trotzdem ungewöhnlich genug, daß man sie erzählen kann? Wer kann aus seinem eigenen Leben alle 14 Tage eine neue Geschichte erzählen, die andere Leute hören wollen?

Es kam also wohl darauf an, den einmal eingeschlagenen Weg konsequent durchzuhalten: eine realistische Figur zu erfinden, die zur Identifikation taugt. Sobald eine Geschichte unglaubwürdig oder unrealistisch ist, fällt sie bei den Lesern eventuell durch. Jedenfalls wohl bei meinen Töchtern, die in ihren Rollenspielen stets großen Wert auf Glaubwürdigkeit und Realismus gelegt hatten.

So erinnere ich das auch aus meiner eigenen Kindheit: Rollenspiele mußten realistisch sein, damit sie Spaß machten. Mit anderen Worten: es war nicht möglich, Rollenspiele zu Bereichen zu machen, über die zu wenig bekannt war. Fakten sind also auch für Phantasiespiele wichtig.

So habe ich denn am Ende der letzten Ausgabe die Frage gestellt, wie realistisch denn die Sache mit den Einhörnern in Schleswig-Holstein ist. Die Geschichte wird aber noch viel abenteuerlicher: kaum ist das Fohlen gesund, ist es erneut in höchster Gefahr, weil zwei Gangster auftauchen (natürlich ebenfalls zu Pferd), die seine Eltern umbringen wollen, selbstredend aus reiner Gewinnsucht, da die Einhörner selbstverständlich medizinisch wertvoll sind.

Die durch das Fernsehen geschulten Jugendlichen asso