Der Pferdezahnarzt war schon den ganzen Tag bei der Arbeit, als ich am frühen Nachmittag eintraf. Es gibt natürlich gar keinen Beruf "Pferdezahnarzt". Wir erwarten von unseren Tierärzten, daß sie nebenbei auch Zahnärzte sind. Das ist bei Menschen anders. Die Zähne und deren Behandlung sind offenbar so kompliziert, daß es einen eigenen Berufszweig gibt: eben den Zahnarzt, der sich ausschließlich mit diesen kleinen Einzelteilen unseres Körpers beschäftigt. Unser Pferdezahnarzt ist Menschenzahnarzt im Hauptberuf. Er versteht also etwas von Zähnen, allerdings zunächst "nur" von Menschenzähnen. Davon aber eine ganze Menge. Denn er ist erst Zahntechniker gewesen. Das sind die Leute, die den künstlichen Zahnersatz machen, z.B. Kronen, Prothesen usw. Danach hat er sich zum Zahnarzt weitergebildet. Mit Pferden hatte er nichts zu tun. Bis seine Kinder heranwuchsen und sich für Pferde interessierten. Aber auch das führte noch nicht zur Pferdezahnpflege (ich mache es ein bißchen spannend). Er behauptet, daß er wenig mehr kann als ein Pferd zur Weide führen - was ein bißchen untertrieben ist, wie ich später feststellen konnte. Nun sind die Zahnärzte sich untereinander nicht besonders grün, die Tierärzte übrigens auch nicht. Als unser Zahnarzt sich für die Behandlung von Pferden interessierte und seine Fähigkeiten im Internet bekannt machte, bekam er sofort Ärger von seiner Kammer. Nun möchte er natürlich durch eine Publikation in der Pferdezeitung nicht neuen Ärger bekommen. Deshalb habe ich ihm versprochen, seinen Namen nicht zu erwähnen. Interessierte Leser können über eine geeignete Suchmaschine unschwer ihn und eine Reihe anderer Pferdezahnärzte finden. Aus dem selben Grunde habe ich der anwesenden Tierärztin versprechen müssen, daß ihre Identität geschützt bleibt. Die meisten Pferde mußten nämlich sediert werden; sie bekamen eine Spritze, die sehr schnell wirkte. Man merkte es nach weniger als 2 Minuten: der Kopf hing herunter, die Augen gingen auf Halbmast, man konnte den Kopf auf einen Ständer legen, so daß auch kompliziertere Arbeiten problemlos möglich waren. Natürlich kann auch ein Zahnarzt eine Spritze setzen, aber hier handelt es sich um ein rechtliches Problem. Wer haftet, wenn etwas schiefgeht? Aufgrund seiner Ausbildung ist ein Zahnarzt nicht berechtigt, einem Pferd eine Spritze zu setzen. Die Tierärztin hat vor der Spritze eine allgemeine Untersuchung vorgenommen, um sicherzustellen, daß das Pferd die Spritze und die anschließende Behandlung verträgt.
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