 |  | An Weihnachten vor dem Misteln holen |  |  |  | Ihre Kondition war im Herbst dieses Jahres entsprechend gewaltig. Den ganzen Winter blieb mir bei schlechten Böden nur, 2 Stunden intensiv zu klettern, damit sie einigermaßen ausgeglichen war. Zwei Stunden Halle oder Platz oder so waren viel zu fad.
Entsprechend war sie drauf: Es gab nichts ekelhafteres als eine unausgelastete Bella. Aber auf der Koppel oder in der Halle rumspielen wollte sie nie, es musste immer einer oben sitzen.
Grundsätzlich gab es in den ersten Jahren immer vier Zeiten, in denen es schwierig wurde: Der Februar und der Juni mit den Prüfungen für mein Studium und jeweils drei bis vier Wochen im Frühjahr und im Herbst, in denen sie rossig war und sich dermaßen aufführte, dass keiner Freude mit ihr hatte.
Es gab bei jeder Berührung eine derartige Quiekerei und Dränglerei, dass der ganze Stall sich teils ärgerte, teils köstlich amüsierte. Pulkweise kamen die Leute aus dem Haus gelaufen und lachten sich kaputt, wenn ich versuchte, das Quietschtier zu putzen.
Kritischer waren aber die Prüfungszeiten: Ich lernte während des Semesters pferde- und arbeitsbedingt in der Regel fast nichts und hatte die zwei bis drei Wochen vor der Prüfung logischerweise kaum Zeit für's Pferd.
Für jüngere Pferdemädchen war Bella ungeeignet, sie machte mit ihnen, was sie wollte, und gute bzw. durchsetzungsfähige Reiter waren gut mit Pferden versorgt und hatten deshalb keine Lust, sich mit der zu Fremden so igeligen Schimmelstute zu befassen. Letztere wurde wegen Bewegungsmangel dann richtig schwierig, es kam zum Treten, Beißen und Steigen, wenn man nicht aufpasste. Und da half auch keine Koppel.
Aber ausgelastet war sie universell einsetzbar. Man konnte sie grundsätzlich überall nahezu beliebig lange anbinden.
Unterwegs auch erprobt an verschiedenen Edeka-Läden, in denen mich die Leute in meinem Aufzug mit Stiefel, Sporen, Hut und einer Aura von Pferdegeruch meist recht seltsam anschauten, wenn ich eine Brotzeit, eine Halbe Bier und eine Handvoll Gelbe Rüben einkaufte.
Noch wesentlich seltsamer schauten manche dann, wenn sie wieder aus dem Laden rauskamen und ein aufgepacktes Pferd an den Radlständer gebunden dastand.
Auf eine weitere Einsatzmöglichkeit hat mich dann Herr Miller, der Eigentümer meines Stalls gebracht, ein unglaublich erfahrener Ausnahme-Pferdemann, der mit Pferden schon im Krieg war und sich nach seiner Gefangenschaft vor allem mit russischen Pferden aller Rassen auskannte.
Er war sich sicher, dass Bella eine Lipizzanerstute aus Polen oder Umgebung war, die dort oft als zähe, leichtfuttrige Arbeitspferde eingesetzt worden sind, und später über die Imex oft zum Kilopreis als Tausch z.B. gegen Rinder nach Deutschland kamen - wie auch einige seiner russischen Achal-Tekkiner.
Bellas im Verhältnis zur sonstigen Rittigkeit guten Seitengänge waren für ihn Indiz, dass sie eingefahren sein musste. Also kramten wir ein altes Arbeitsgeschirr raus, und als wir mit dem Lederzeug beim Pferd ankamen, konnten wir gar nicht so schnell entwirren, wie Bella ihren Kopf hineinstecken wollte!
Super aufgeregt stand sie nach einer Weile aufgeschirrt da, Herr Miller gab ein paar russische oder polnische Kommandos - ich weiß nicht was - und sie marschierte los, als hätte man sie mindestens eine Woche mit Arbeitsentzug bestraft.
Ja superklasse, mein Pferd ist schon eingefahren - und das wie!
Fotos
Stefan Hölz
Fortsetzung nächste Woche
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