 |  | Der erste Besuch in der Lichtenau |  |  |  | Ich durfte dann vorsichtig anfangen, sie von vorne nach hinten leicht zu berühren, aber sobald ich die Beine unterhalb der Handwurzel bzw. dem Sprunggelenk erwischte, schlugen diese in alle Richtungen aus. Genauso ging es mit der Hinterhand, die ab der Nierengegend aktiv wurde. Begleitet wurde das alles von einer Mischung aus Quietschen und Brüllen.
Ein Pferd, das dermaßen durch den Wind war, hatte ich vorher noch nicht gesehen. Gekommen war sie aus einem Dorf in der Nähe: der Tierschutzverein hatte sie eine Weile gefüttert und dann veranlasst, dass sie dem Besitzer weggenommen wurde. Was mit ihr passieren sollte, war unklar, der Besitzer wehrte sich noch gegen die Enteignung.
In den folgenden Tagen habe ich mich noch ein paar mal nach ihr erkundigt und überlegt, ob ich mich ab und zu ein bisschen um sie zu kümmern sollte. Evi und ihre Familie hatten mit ihrer eigenen Pferdezucht zu genug zu tun und das Pferd, mit dem ich mich zuvor befasste, wurde vor kurzem verkauft.
Die Idee konnte aber leider nicht mehr umgesetzt werden: Die Stute durfte nur zwei oder drei Wochen bei dem Bauern bleiben, weil sein Stall nicht auf das Halten eines derartigen Raubtiers ausgerichtet war. Es waren ständig tragende Stuten unterwegs, der Weg zur Weide war weit und führte durch einen Teil der Ortschaft und zudem waren oft viele kleinere Kinder im Stall.
Der einzige Stall, der einen Platz für dieses seelische Wrack frei hatte, war ein für meine Begriffe ziemlich feiner Dressurstall mit ebenso feinen Preisen für die Boxenmiete. Dort gab es nicht diese Wartelisten, die in bei Normalreitern beliebten Ställen oft üblich sind. Und 500 DM pro Monat ohne den bei der recht anspruchsvollen Stammkundschaft üblichen großen Service sind nicht zu verachten.
Ich glaube, die Stallbetreiberin war recht erstaunt, als ich eines Tages bei ihr ankam und mich ausgerechnet nach dem versauten Schimmel erkundigte - ein Student mit wenig eindrucksvollem Outfit, wenig eindrucksvollem Fahrzeug und mit 1,83 m und 80 kg für Dressurreitermaßstäbe reichlich unpassend für ein gerade 1,53m großes Pferd.
Sie hatte natürlich nichts dagegen, daß ich nach der Schimmelstute schaute. Diese nahm es dann erstaunt hin, herausgeführt und in einer ruhigen Ecke angebunden zu werden. Ich habe mich dann einfach mit ihr beschäftigt und sie geputzt - zumindest da, wo man sie anfassen durfte.
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